Kommentar: Der Protest-Spaziergang | Leben wir in einer Diktatur oder Demokratie?

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Ein Kommentar von Thomas Pöppel

Fangen wir doch einmal damit an, warum Menschen auf die Straße gehen dürfen, um zu demonstrieren, und wo dieses Recht verbrieft ist. Im Grundgesetzt der Bundesrepublik Deutschland gibt es hierzu den Artikel 8 – Versammlungsfreiheit (https://dejure.org/gesetze/GG/8.html).

Hier heißt es erstmal, dass jeder das Recht hat, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, so Absatz 1. Jetzt sollte man dann aber auch weiterlesen, denn in Absatz 2 heißt es, dass dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden kann. Sprich das Grundgesetz sieht auch Gründe und Situationen vor, die das Versammlungsrecht einschränken kann.

Das ist das Recht, auf das sich Demonstranten berufen können. Dabei müssen sie aber auch den Absatz 2 des Artikels 8 GG beachten. Die maßgeblichen Regelungen hierzu finden sich im Versammlungsgesetz des Bundes (VersammlG). Für die Durchführung der Versammlungsgesetze sind die Länder zuständig.

Die Länder Bayern, Berlin (teilweise), Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben eigene Landesversammlungsgesetze erlassen. In allen anderen Ländern gilt das Versammlungsgesetz des Bundes.

Mit der Versammlungsfreiheit gehen auch bestimmte Pflichten einher. Nach §14 VersammlG ist der Veranstalter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel verpflichtet, diese spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe bei der Versammlungsbehörde anzumelden. Durch die Anmeldung soll sichergestellt werden, dass der Versammlung der erforderliche Schutz, z.B. vor Gegendemonstranten, gewährleistet werden kann. Die rechtzeitige Anmeldung soll es der Versammlungsbehörde zudem ermöglichen, mögliche Auswirkungen auf Dritte auszugleichen, beispielsweise durch geeignete Verkehrsregelungen.

Etwas anderes gilt für Versammlungen, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich bilden. Bei solchen sogenannten Spontanversammlungen entfällt die Anmeldepflicht. Denn Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch das Recht, sich spontan zu versammeln.

Für Versammlungen in geschlossenen Räumen besteht generell keine Anmeldepflicht. Dies liegt daran, Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel wegen der unbegrenzten Teilnehmerzahl eine größere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen als auf geschlossene Räume beschränkte Versammlungen.

Weitere Regelungen -Bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann nach § 15 VersammlG eine Versammlung vor ihrem Beginn verboten oder nach Veranstaltungsbeginn aufgelöst werden. Ein Verbot oder eine Auflösung sind jedoch das letzte Mittel. Sofern Beschränkungen zur Abwehr der Gefahr ausreichen, müssen diese vorrangig angeordnet werden. Verstöße gegen versammlungsrechtliche Verbote bzw. Pflichten können als Straftat oder Ordnungswidrigkeit geahndet werden (§§ 21 bis 29a VersammlG).

Soweit einmal der gesetzliche Rahmen, der sich aus dem Grundgesetz ergibt. Auf diesen berufen sich auch die Spaziergänger in der Corona-Zeit.

In der Vergangenheit wurden vielerorts Corona-Demonstrationen angemeldet, die von den Genehmigungsbehörden dann auf zentralen Plätzen genehmigt worden waren. Zusätzlich wurden Auflagen erlassen, wie das Tragen von Mund- und Nasenschutz, ein Mindestabstand der teilnehmenden Personen zueinander und eine Begrenzung der Teilnehmer. Durch die Anmeldung der Versammlung wird auch ein Versammlungsleiter benannt, der als Ansprechpartner für die Ordnungsbehörden dient, aber auch für die Einhaltung der Auflagenverantwortlich zeichnet.

Man hat dann entsprechend nach Vorschriften des Versammlungsgesetzes ordentliche Demonstrationen ortsgebunden angemeldet. So konnte man den Ort, Datum und Uhrzeit rechtssicher in sozialen Netzwerken, wie , bewerben und verbreiten. Wenige Stunden vor der eigentlichen Demonstration wird der Antrag zurückgezogen. Das heißt offiziell gibt es jetzt keine genehmigte Versammlung mehr. Aber die Leute kommen trotzdem und es kommt zu den Spaziergängen. Ein Aufzug ohne Verantwortlichen, ohne Auflagen, ohne Genehmigung. Jetzt könnte man noch sagen da gibt es im Gesetzestext noch das Wort „spontan“ – ja, aber ganz so spontan ist das Ganze ja nicht, denn es die Besucher sind im Vorfeld davon ausgegangen, dass sie auf eine angemeldete Versammlung gehen. Bei den Spaziergängen gehen die Teilnehmer davon aus, dass jetzt nichts mehr gilt wie Mindestabstand oder auch der Mund-Nasen-Schutz. Aber da könnte sich der ein oder andere eben auch irren – oder nutzt man gerade diese Unwissenheit aus.

Schaut man sich einmal an, wer denn so im Netz die Demonstrationen bewirbt fällt auf, dass gerade auch rechte Organisationen wie der III. Weg u.a., unterstützt von Politikern der AfD, Terminlisten teilen und zur Teilnahme einladen. Das soll aber nicht heißen, dass jeder Teilnehmer eine rechte Gesinnung hat. Aber er nimmt in Kauf sich mit diesem Personenkreis zu solidarisieren – und das ist auch das Ziel so mancher Organisationen. Denn diese sind auf den Zug aufgesprungen und nutzen die Erregung und Wut des „Normalbürgers“ aus. Sie bieten den Rahmen und die Organisation.

Eine Demonstration auf einem festgelegten Platz mit einem Versammlungsleiter ist für Ordnungsbehörden leichter zu handhaben als ein Aufzug (Spaziergang) oder Demonstrationszug. Diesen Umstand nutzen die Akteure bewusst aus. Ein weiterer Punkt ist viele Veranstaltung an unterschiedlichen Orten zu planen, so sind Ordnungsbehörden und Polizei schnell personell an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Das hat dazu geführt, dass man vielerorts in der Vergangenheit die Spaziergänger gewähren hat lassen. So entstand für den Normalbürger fälschlicherweise der Eindruck, dass die Teilnahme an diesen Spaziergängen bzw. Aufzügen nicht gegen geltendes Recht verstößt. Aus Absatz 1 des Grundgesetzes könnte man das auch so herleiten, wenn man nicht weiterliest oder die Teilnehmer entsprechend über das Versammlungsgesetz und andere informiert.

Seit einigen Tagen hat die Politik, die Landesinnenminister und somit auch die Polizei neu bewertet – man lässt sie jetzt nicht mehr einfach so gewähren. Die Polizei setzt nun auf Einhaltung der geltenden Regelungen und nimmt das Zepter wieder in die Hand. Aufzüge werden gestoppt, Ordnungswidrigkeitenanzeigen aufgenommen und Strafanzeigen gefertigt. Für den einfachen Bürger, der an den Spaziergängen teilgenommen hat, nicht nachvollziehbar, denn diesen wurde ja ständig auf Informationskanälen aufgeklärt, dass demonstrieren ein Grundrecht ist.

Ja, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Grundrechte, eine funktionierende Demokratie und einen funktionierenden Rechtsstaat. Nicht jedem passt das so in sein politisches Gedankengut, aber es ist so und es wird so bleiben.

Jeder der der Meinung ist, dass er in irgendeiner Art und Weise in seinen Rechten oder Freiheiten zu Unrecht eingeschränkt oder behindert ist, hat die Möglichkeit auf rechtlichem Wege die Maßnahme prüfen zu lassen (Verwaltungsgericht). Im Übrigen haben diese Verfahren in 2020 und 2021 massiv zugenommen. Ein Beweis für die Funktionalität unseres Rechtsstaates ist auch, dass immer wieder Verfahren auch zu Gunsten der Kläger ausgegangen sind und Maßnahmen des Staates zurückgenommen werden mussten.

Protest ist wichtig, Demonstrationen sind wichtig, Aufzüge sind wichtig, aber eben unter Einhaltung der auferlegten Vorgaben. Auch wenn der ein oder andere sich auch schwer damit tut einen Mund-Schutz bei der Versammlung zu tragen oder auch den Mindestabstand einzuhalten. Die Spaziergänge wie sie in den vergangenen Wochen stattgefunden haben, sind darauf ausgerichtet den Staat herauszufordern.

Wir leben in einer Demokratie, jeder der schreit wir haben eine Diktatur sollte sich einmal darüber informieren, was in einer Diktatur so alles passiert, welche Rechte der Einzelne da noch hat oder wie er sich rechtlich gegen den Staat wehren kann.

Vielleicht ist der Start ins neue Jahr auch ein Start zu einem Neuanfang in Sachen Spaziergänge. Vielleicht denkt der ein oder andere Teilnehmer nochmals darüber nach, ob das der richtige Weg ist, oder ob man hier mit seiner Teilnahme jemanden unterstützt, den man eigentlich so gar nicht unterstützen möchte – setzt ein Zeichen und grenzt EUCH ab.

So wünsche ich uns allen ein erfolgreiches, gesundes 2022! Geht verantwortlich mit Euren Freiheiten um und zeigt Euren Protest in einer Art und Weise, die andere nicht gefährdet.

DANKE!, bleibt gesund Euer Tom Pöppel