Unter dem Titel „Sägen, Wasserkraft, Stromerzeugung“ hat das Schwäbische Bauernhofmuseum Illerbeuren den ersten Sammelband einer neuen Publikationsreihe veröffentlicht, die sich mit den Ausstellungsobjekten des Museums und der Geschichte dahinter befasst. Im Fokus des ersten Bandes steht die historische Sägemühle aus dem Altusrieder Ortsteil Hettisried (Lkr. Oberallgäu) und damit die Technisierung im ländlichen Raum. Die Mühle wurde über 140 Jahre lang betrieben und ist im Herbst 2021 nach Illerbeuren umgezogen. Mit etwas Glück können Besucher sie bei ihrer Arbeit betrachten: Zu besonderen Anlässen wird die Anlage in Illerbeuren immer wieder in Betrieb genommen. Der neue Sammelband kann im Bauernhofmuseum in Illerbeuren und online unter bauernhofmuseum.de erworben werden.
„Geschichte muss festgehalten werden, um sie für die Zukunft zu sichern“, sagte Dr.-Ing. Bernhard Niethammer, Museumsleiter des Schwäbischen Bauernhofmuseums Illerbeuren, bei der Buchvorstellung und freute sich über das neuste Ausstellungsobjekt in seinem Freilichtmuseum: „Mit der Sägemühle aus Hettisried und der faszinierenden Geschichte der Besitzerfamilie Gromer durften wir ein frühes Zeugnis der Technisierung auf dem Land in unser Freilichtmuseum aufnehmen. Toll, dass wir die Geschichte der Sägemühle nun in unserem neuen Sammelband verewigt haben“.
Mit dem Buch über die Sägemühle startet das Bauernhofmuseum eine neue Publikationsreihe zu den Bauwerken ihres Museums. „Ziel der Publikationsreihe ist es, alle Bereiche des ländlichen Lebens so originalgetreu wie möglich zu illustrieren“, so Niethammer. Auf 168 Seiten klärt nun also der erste Sammelband rund um die Titelthemen Sägen, Wasserkraft und Stromerzeugung auf. Neben den Kapiteln über die Familie Gromer und die Translozierung der Sägemühle von Hettisried nach Illerbeuren dreht sich das erste Buch vor allem um die ländliche Technikgeschichte: Mit insgesamt acht detaillierten Aufsätzen veranschaulichen die Autorinnen und Autoren Themen wie Wasser als Antriebskraft, Mühlen und ihre Antriebe, Sägetechniken sowie Waldnutzung und Stromerzeugung und -versorgung.
„Der Sammelband zur Sägemühle aus Hettisried stellt einen gelungenen Auftakt unserer neuen Buchreihe dar: Ergänzend zum Besuch der Mühle in unserem Freilichtmuseum gewährt er einen erstklassigen Einblick in die Geschichte der Technisierung auf dem Land“, sagt der Museumsleiter und gibt einen Ausblick auf die kommenden Sammelbände: „Ich freue mich auf unsere nächsten Veröffentlichungen, mit denen wir weitere Aspekte des ländlichen Lebens festhalten werden – zum Beispiel die Baugeschichte, die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch die Ökologie- und Landschaftsgeschichte“.
Mühlenregion Allgäu
„Viele denken bei Landwirtschaft im Allgäu vor allem an die Viehzucht, oder durch die Produktion von Flachs auch an das ‚Blaue Allgäu‘. Bis ins 19. Jahrhundert war das Allgäu jedoch vor allem eine Ackerbauregion mit Mühlen. Die vielen Wasserläufe in Bayrisch-Schwaben waren die perfekte Grundlage dafür“, sagt Dr.-Ing. Niethammer. So auch in Hettisried: Durch ihren praktischen Standort am Mühlbach wurde die Sägemühle mit Wasserkraft angetrieben.
Über die Sägemühle aus Hettisried
Die Sägemühle der Familie Gromer ist laut Niethammer „ein Musterbeispiel für die schrittweise Entwicklung der Landtechnik: Im Sammelband lässt sich Schritt für Schritt nachverfolgen, wie die Sägemühle mit innovativen Ideen über 140 Jahre am Leben erhalten wurde.“ Die Sägemühle wurde um 1835 errichtet und danach in mehreren Bauphasen immer wieder repariert und an die verschiedenen technischen Neuerungen angepasst. Bis ins Jahr 1913 wurden die Sägemühle und die sich anschließende Getreidemühle von je einem mittelschlächtigen Wasserrad angetrieben, das hölzerne Einfachgatter mit einem Sägeblatt war bis dahin das Hauptgatter. Anfang 1913 wurde dann das modernisierte Vollgatter der Firma Dobler aus Aichstetten in der Sägemühle verbaut. Die Antriebstechnik der Sägemühle beruhte mittlerweile auf zwei deutlich leistungsstärkeren Francis-Turbinen. Anders als das bisherige Einfachgatter verwendete das Mehrfachgatter mehrere Sägeblätter und konnte neben Balken verschiedenen Querschnitts auch Bretter und Bohlen unterschiedlicher Stärke schneiden.
Durch die neuen Turbinen konnte Familie Gromer mit ihrer Sägemühle auch ein kleines Wasserkraftwerk betreiben. Bis das Wirtschaftswunder in den 1950er-Jahren zu hohe Anforderungen an das ländliche Sägewerk stellte, versorgte die Familie ein stattliches Netz rund um ihren Heimatort mit Strom.
Vom Wasserrad zum Elektromotor
Die Leistungsfähigkeit der Anlage war lange abhängig vom angrenzenden Mühlenbach: Bei viel Wasser arbeitete die Anlage schneller; bei wenig Wasser wiederum deutlich langsamer. Um die Leistung unabhängig von der verfügbaren Wassermenge konstant zu halten, wurde 1929 ein Junkers Zweizylinder-Gegenkolben-Dieselmotor gekauft. Für den Dieselmotor wurde an der Westfassade der Säge ein eigener Anbau errichtet. Bei zu geringem Wasserstand wurde einfach der Dieselmotor zugeschaltet und hielt den Betrieb am Laufen. Bis zum Schluss ihrer Betriebszeit wurde das Sägegatter mit einem später angeschafften Elektromotor der Marke Conz aus dem Jahr 1952 angetrieben. „Wie bei vielen Mühlen auch ist der Grundgedanke vom Wasserrad bis hin zum Elektromotor bei der Sägemühle in Hettisried immer derselbe gewesen: Alle Antriebsarten lösten eine Drehbewegung aus, die über einen Transmissionsriemen auf die Transmissionswelle übertragen wird und mit Pleuelstangen das Gatter auf und ab bewegt“, so Museumsleiter Niethammer.
Sägegatter aus der Region
Das gusseiserne Mehrfach-Sägegatter der Sägemühle stammt ursprünglich von der damals im benachbarten Aichstetten (Lkr. Ravensburg) ansässigen Firma Doser, die bis ins frühe 20. Jahrhundert Mühleneinrichtungen und Sägegatter produzierte. „Wir hatten in den 90er-Jahren schon die Keimzelle der Firma Doser ins Museum aufgenommen: Die Maschinenwerkstatt. Für uns war klar, dass wir mit der Sägemühle auch das Sägegatter von Doser translozieren wollen. Im September 2021 konnten wir unser neues Ausstellungsobjekt dann endlich feierlich eröffnen. Jetzt haben wir sowohl den Ort, an dem das Gatter entstanden ist, die Werkstatt, als auch das Gatter selbst hier in Illerbeuren“. Das gesamte Gebäude wurde im Großteil-Verfahren transloziert, es wurde also darauf geachtet, die Sägemühle möglichst originalgetreu nach Illerbeuren umzusiedeln, indem die Bestandteile so groß wie möglich beibehalten wurden. Dieses aufwändige Verfahren zählt für Freilichtmuseen heutzutage zum Standard.