Der etwas andere WM-Auftrag für Flick: „Fußball hat Verantwortung“

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Fortbildung zum Thema Menschenrechte: Die DFB-Elf lauscht aufmerksam der nächsten Diskussionsrunde über Katar.
Herzogenaurach (SID) Hansi Flick scherzte im Training entspannt mit Sorgenkind Leroy Sane, doch beim Thema Menschenrechte im Dialogforum mit Katar-Experten wurde auch der Bundestrainer ernster. Konzentriert lauschten Flick und seine Nationalspieler rund 50 Minuten der kontroversen Diskussion zur Lage beim WM-Gastgeber, an deren Ende Oliver Bierhoff betonte: „Es ist wichtig, dass wir uns informieren. Der Fußball hat eine Verantwortung, weiter aktiv zu sein – nicht nur bei Katar.“
Der DFB und sein Direktor versuchen, diesem Auftrag ein halbes Jahr vor der WM gerecht zu werden. „Es ist eine Entwicklung da“, sagte Bierhoff über Katar, das seiner Meinung nach „in der gesamten Region vorne wegmarschiert.“ Andererseits „hapert“ es aber bei vielen Themen.
Die Runde mit Vielfalt-Botschafter Thomas Hitzlsperger, FIFA-Sicherheitsdirektor Helmut Spahn und kritischen Fan-Vertretern war die zweite nach dem Auftakt der Bildungsreihe für die Nationalmannschaft im März. „Es war viel und für die Spieler unglaublich interessant“, bilanzierte Bierhoff.
Tatsächlich verfolgten die Stars das Forum im Saal „Halftime“ der Adidas World of Sports in Herzogenaurach aufmerksam. Es schien eine willkommene Ablenkung zu sein in der Vorbereitung auf die Nations League mit dem Kracher-Auftakt am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Bologna gegen Europameister Italien.
Der aus Boston zugeschaltete Hitzlsperger zeigte den Profis ein Dilemma auf: „Kaum einer ist so im Fokus wie ihr“, sagte er. Er wolle daher an sie „appellieren, nur über die Dinge zu sprechen, über die ihr Bescheid wisst. Es ist völlig legitim zu sagen: Ich weiß es nicht – vor allem, wenn die WM läuft“. Zumal die Diskussion aufzeigte, wie vielfältig das Meinungsspektrum ist.
FIFA-Mann Spahn meinte wenig überraschend, Katar habe eine „enorme Entwicklung genommen“. Ein Boykott, den kein Verband ernsthaft erwägt, sei „der falsche Weg“. Roland Bischof (Fußballbotschafter e.V.) pflichtete bei, die Reformen könnten „sehr nachhaltig sein“, man dürfe dies „nicht wegbashen“.
Das sahen die Fanvertreter anders. „Die Lage hat sich nicht gebessert. Es gibt keine Redefreiheit, keine Menschenrechte“, sagte Martin Endemann von Football Supporters Europe. Als er über die in Katar mögliche Todesstrafe für Homosexuelle sprach, blickte Timo Werner betreten zu seinem Nebenmann Joshua Kimmich.
Keine echte Reaktion gab es auf eine Bitte der einzigen Frau unter den acht Diskutanten. „Ich würde mir wünschen, dass ihr bei der WM auch wieder mit der Regenbogenbinde auflauft“, sagte Pia Mann von Discover Football, die sich für Frauenrechte einsetzt, „das sind symbolische Zeichen, aber die machen viel aus!“ Schon ein Like an der richtigen Stelle im Netz könne etwas bewirken, rief sie der Handy-Generation zu. Nachfragen? Keine.
Als Flick mit den Spielern zurück ins Quartier schlenderte, suchte Bierhoff das Gespräch mit den Fan-Vertretern. Er habe ihre besondere „Betroffenheit“ gespürt, sagte er anerkennend: „Es ist sehr deutlich geworden, wie sehr euch das Thema beschäftigt.“
Für ihn selbst habe sich „vieles bestätigt, was ich auf meiner ersten Reise mitbekommen habe: Es gibt in Katar verschiedene Klassen von Menschen, die teilweise sehr isoliert voneinander leben. Die Menschen dritter oder vierter Klasse siehst du gar nicht, die leben am Rande.“ Und dürfen kaum auf Besserung hoffen.
All das soll die DFB-Elf auf der Jagd nach dem fünften Stern im Kopf behalten. Ihr von zahlreichen Kontroversen begleiteter Wüstentrip, darauf verwies ein Werbeplakat im Saal („Your journey starts now“), hat begonnen.
SID mm om th

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