Klinikum Memmingen – „Die Krankheit trifft hauptsächlich junge Menschen“ – Mediziner sprechen über Diagnose und Therapie bei Multipler Sklerose

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Neurologie-Chefarzt PD Dr. Christoph Lichy vom Klinikum Memmingen zeigt einen typischen Krankheitsverlauf bei Multipler Sklerose mit zunehmender Behinderung der Patienten auf. Foto: Eva Häfele - Pressestelle Stadt Memmingen
Neurologie-Chefarzt PD Dr. Christoph Lichy vom Klinikum Memmingen zeigt einen typischen Krankheitsverlauf bei Multipler Sklerose mit zunehmender Behinderung der Patienten auf.
Foto: Eva Häfele – Pressestelle Stadt Memmingen

Jahr für Jahr erkranken in Deutschland 25.000 Menschen an Multipler Sklerose, kurz MS. „Die Krankheit trifft hauptsächlich junge Menschen in einem Lebensabschnitt, in dem in Familie und Beruf volle geistige und körperliche Leistungsfähigkeit gefordert ist“, erklärte der Chefarzt der Neurologie am Klinikum Memmingen, Privatdozent Dr. Christoph Lichy, bei einem Fortbildungsabend über die unheilbare Krankheit.

„Die Multiple Sklerose ist neben der Epilepsie, dem Schlaganfall und der Parkinsonerkrankung eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, mit denen wir es zu tun haben“, schilderte Lichy vor interessierten Ärzten und Laien im Klinikum Memmingen. Die Ursache der unheilbaren Krankheit sei trotz großer Forschungsanstrengungen nicht geklärt. „Allerdings hat sich bei den therapeutischen Möglichkeiten sehr viel getan“, betonte der Chefarzt der Neurologischen Klinik: „Allein im Jahr 2014 sind vier neue Wirkstoffe auf den Markt gekommen.“

Über die Wirkungsweise der neuen Medikamente, von denen zwei nicht mehr gespritzt werden müssen, sondern in Tablettenform einnehmbar sind, berichtete Professor Dr. Martin Marziniak vom kbo-Isar-Amper-Klinikum aus München.

Zuvor informierte Privatdozent Dr. Tobias Böttcher, der aus Neubrandenburg in der Nähe von Berlin angereist war, über Auftreten und Diagnose der Erkrankung: „MS ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, das Immunsystem, das uns eigentlich schützen sollte, richtet sich gegen uns selbst.“ Dabei seien häufiger Frauen als Männer betroffen und die Krankheit trete vermehrt mit zunehmendem Abstand vom Äquator auf, kaum aber beispielsweise in Afrika oder im tropischen Südamerika. „Der Grund dafür ist nicht geklärt. Ebenso gibt es kein Bakterium und kein Virus auf der Welt, das nicht schon beschuldigt wurde, Ursache der Multiplen Sklerose zu sein.“

Die ersten Symptome treten meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf: „Zu Beginn der Erkrankung werden häufig Seh- und Sensibilitätsstörungen sowie Taubheitsgefühle in Händen und Beinen beobachtet“, so Chefarzt Böttcher. Weil MS die verschiedensten Symptome verursache – „sie ist die Erkrankung der 1.000 Gesichter“ – sei eine Unterscheidung von anderen Krankheiten wichtig, aber oft schwierig: „Wenn ein Patient nicht mehr sprechen kann und einen lahmen Arm hat, dann ist eher ein Schlaganfall der Grund als eine Erkrankung an MS“, gab der Chefarzt des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums in Neubrandenburg ein Beispiel. Auch müsse man andere chronisch-entzündliche Krankheiten wie Bindegewebserkrankungen, Infektionen durch AIDS sowie Tumore bei den Patienten ausschließen.

Vor allem Symptome wie die Fatigue (chronische Müdigkeit) und die Störungen der Sexualfunktion beeinträchtigten das Leben der Betroffenen besonders, schilderte Böttcher: „Die gesteigerte Ermüdbarkeit ist für manche Patienten noch bedeutsamer, als es beispielsweise Lähmungen sind“, meinte der Neurologe. „Denn sie macht den Betroffenen die Tage zur Hölle, wenn sie sich nichts vornehmen können und ständig ausruhen müssen.“

Um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und bleibender Behinderung wirkungsvoll zu begegnen, gibt es eine Vielzahl von Medikamenten, die neuerdings zum Teil auch oral eingenommen werden können, wie Professor Dr. Martin Marziniak aus München erklärte.

„Unser Ziel ist es natürlich, keine Schübe und neurologischen Verschlechterungen bei unseren Patienten zu sehen. Deswegen macht eine sehr frühe medikamentöse Therapie Sinn.“

Durch die tägliche Einnahme von Tabletten könne beispielsweise die Schubrate bei den Erkrankten um über 50 Prozent reduziert werden, erklärte Marziniak. „Auch die Behinderungsprogression kann signifikant gesenkt werden.“ Ohne Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle oder eine verringerte Haardichte gehe es allerdings kaum. „Vor allem die Haarausdünnung ist emotional besetzt“, betonte der Münchner Chefarzt. Ansonsten seien die Medikamente gut verträglich und oft stelle sich ein „Gewöhnungseffekt“ ein, wodurch manche Nebenwirkungen mit der Zeit nachließen. „Beim Absetzen der Medikamente dagegen haben Patienten drei bis vier Schübe in einem Jahr erlebt. Das war so schlimm, dass sie jetzt das Risiko der Nebenwirkungen in Kauf nehmen.“

 


 

Infokasten:

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung, bei der die Markscheiden (äußere Schicht der Nervenfasern) im zentralen Nervensystem angegriffen sind.

Die MS ist neben der Epilepsie eine der häufigsten neurologischen Krankheiten bei jungen Erwachsenen.

Die Krankheit ist nicht heilbar, jedoch kann der Verlauf durch verschiedene Maßnahmen günstig beeinflusst werden. Entgegen der landläufigen Meinung führt die Multiple Sklerose nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen. Auch viele Jahre nach Beginn der Erkrankung bleibt die Mehrzahl der Patienten noch gehfähig.