Neue Missbrauchsbeauftragte fordert mehr Hinschauen gegen sexualisierte Gewalt

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Die neue Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, hat eine Kultur des Hinschauens gefordert, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen. „Ich kämpfe dafür, sichtbar zu machen, dass sexueller Missbrauch jede und jeden angeht“, sagte Claus am Dienstag in Berlin. Notwendig seien starke Netzwerke, Schutzkonzepte vor Ort und verlässliche Hilfen für Betroffene.
„Wir alle gemeinsam tragen eine persönliche, gesellschaftliche oder politische Verantwortung“, sagte Claus in ihrer Antritts-Pressekonferenz. Es müsse für die Gefahren des sexuellen Missbrauchs gesamtgesellschaftlich ein stärkeres Bewusstsein geben, auch für Gefahren im eigenen Umfeld. 
Sexualisierte Gewalt „findet nicht irgendwo, sondern mitten unter uns statt“, sagte die von der Bundesregierung berufene Beauftragte. „Nur wer Missbrauch in seinem eigenen Umfeld für möglich hält, fragt nach und schaut hin.“ Genau dies sei wichtig, „damit Kinder und Jugendliche künftig effektiver vor sexualisierter Gewalt geschützt und Taten schneller aufgedeckt werden“.
Claus kündigte an, sie werde das Gespräch mit Ländern und Kommunen suchen, um möglichst flächendeckend Netzwerke von Ansprechpartnern für einen besseren Schutz vor Missbrauch sowie mit Informationen über Hilfsangebote zu schaffen. In den Städten sei die Versorgung hier häufig schon relativ gut, es gebe aber vielfältig noch große Lücken im ländlichen Raum. 
Der Kampf gegen Missbrauch brauche starke und verlässliche Strukturen, „wo sie noch nicht vorhanden sind, müssen sie koordiniert geschaffen werden“, sagte die Beauftragte. Ihr Ziel sei dabei auch eine bessere Vernetzung der Betroffenenbeiräte in Bund und Ländern. Generell solle die Perspektive von Betroffenen stärker einbezogen werden, auch um effektivere Schutzmaßnahmen zu entwickeln.
Nachdrücklich forderte Claus auch Anstrengungen, um mehr Informationen und Daten über sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zu bekommen. „Es ist ein Skandal, dass wir selbst im Jahr 2022 noch immer keine verlässlichen Zahlen zum Ausmaß von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben“, sagte die Beauftragte. 
Dabei sei bekannt, dass die Zahl der erfassten Fälle „nur ein Bruchteil der tatsächlichen Zahlen darstellt“. In besonderem Maße gelte dies für Missbrauch der außerhalb von Institutionen stattfinde, etwa im privaten und familiären Umfeld. „Wir müssen Zahlen dauerhaft und regelmäßig erheben“, sagte Claus, möglichst durch ein nationales Kompetenzzentrum. Diese Aufgaben wolle sie nun zügig angehen.
Claus bekräftigte das noch von der vorherigen Bundesregierung formulierte Ziel, in diesem Herbst eine breit angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne zu starten. Diese solle auch mehr Wissen über von Tätern angewandte Strategien vermitteln, um diese leichter erkennen zu können. „Sexueller Missbrauch ist immer noch ein Tabuthema“, kritisierte die Beauftragte. Dies solle die geplante Kampagne ändern. Die Bundesregierung müsse nun dafür die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen.
Positiv äußerte sich Claus zu dem im Koalitionsvertrag enthaltenen Ziel, das Amt der Missbrauchsbeauftragten auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Dabei solle auch ein Recht auf Aufarbeitung für Betroffene festgeschrieben werden.
Claus, die einst selbst sexuellen Missbrauch erfahren hatte, trat ihr Amt Anfang April als Nachfolgerin des langjährigen Beauftragten Johannes-Wilhelm Rörig an.
bk/cne

© Agence France-Presse