Urteil im Fall von türkischem Kulturförderer Kavala steht offenbar kurz bevor

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Der seit mehr als vier Jahren ohne Verurteilung inhaftierte türkische Kulturförderer Osman Kavala soll am Montag vor Gericht in Istanbul erscheinen – offenbar, um bei der Verkündung seines Urteils zugegen zu sein. Das Gericht habe Kavala aufgefordert, persönlich an der Anhörung teilzunehmen, damit ein dreiköpfiges Richtergremium endlich das Urteil verkünden könne, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Kavalas Umfeld.
Der 64-Jährige wird beschuldigt, die gegen die Regierung gerichteten Gezi-Proteste im Jahr 2013 unterstützt zu haben. Ihm droht lebenslange Haft. 
Die Ankündigung der unerwarteten Anhörung erfolgte vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Die Türkei bemüht sich intensiv um Vermittlung zwischen den Kriegsparteien. Die internationale Rolle von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat damit zugenommen. 
Nach seinem bislang letzten Gerichtsauftritt im Oktober per Video aus dem Gefängnis hatte Kavala nach eigenen Angaben beschlossen, nicht mehr an den Anhörungen teilzunehmen. Er habe den Glauben an die türkische Justiz aufgegeben habe, begründete er damals seine Entscheidung. 
Sein Fall hatte im Herbst eine diplomatische Krise zwischen Erdogan und einem Dutzend westlicher Botschafter, darunter denen der USA und Deutschland, ausgelöst. Erdogan drohte den Diplomaten damals mit der Ausweisung, nachdem sie Kavalas Freilassung gefordert hatten. Erst in letzter Minute lenkte Erdogan ein und ließ die Botschafter im Land bleiben.
Der Europarat leitete wegen Kavalas unrechtmäßiger Inhaftierung im Dezember ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei ein, nachdem Ankara eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Kavalas Freilassung ignoriert hatte. 
Die Türkei könnte im Zuge des Vertragsverletzungsverfahrens ihr Stimmrecht oder sogar ihre Mitgliedschaft im Europarat verlieren. Ankara wirft dem Europarat vor, sich in „die Unabhängigkeit von Gerichtsverfahren“ in der Türkei einzumischen.
mkü/dja

© Agence France-Presse