Tunesiens Präsident Saïed baut Kontrolle über Justiz aus

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Tunesiens Präsident Kaïs Saïed hat seine Kontrolle über das Justizsystem des Landes ausgebaut. Saïed schuf am Sonntag per Dekret einen neuen Obersten Justizrat, dessen Mitglieder der Staatschef zum Teil selbst ernennt und die er disziplinarisch belangen kann. Im Zentrum der Hauptstadt Tunis demonstrierten daraufhin hunderte Menschen für die Unabhängigkeit der Justiz.
Saïed hatte den bisherigen Obersten Justizrat (CSM) vor einer Woche aufgelöst und „bestimmten“ Mitgliedern des 45-köpfigen Gremiums Parteilichkeit, Korruption und die Verschleppung von Verfahren vorgeworfen. Nach Einschätzung von Beobachtern zielte der Schritt vor allem auf die islamistische Ennahdha-Partei ab, die seit dem Sturz des Langzeit-Machthabers Zine El-Abidine Ben Ali im Jahr 2011 starken Einfluss auf die tunesische Politik hatte.
Der neue Justizrat soll dem Erlass zufolge „temporär“ sein. Saïed kann demnach jeden Richter entlassen, „der seine Berufspflichten verletzt“. Außerdem sei es „Richtern aller Dienstgrade untersagt, zu streiken oder organisierte kollektive Aktionen durchzuführen, die den normalen Betrieb der Gerichte stören oder verzögern könnten“.
Saïed hatte im Juli 2021 unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament des nordafrikanischen Landes entmachtet. Der Präsident regiert seither mittels Dekreten. Im Oktober setzte er zwar eine neue Regierung ein, deren Vollmachten jedoch sehr begrenzt sind. Das Parlament ist weiterhin suspendiert. 
Insbesondere die Ennahdha hatte das Vorgehen als „Putsch“ verurteilt. Gegner Saïeds riefen am Sonntag zu Demonstrationen auf. In Tunis versammelten sich mehr als 1000 Menschen, um gegen die Einsetzung des neuen Justizrates zu protestieren, wie AFP-Reporter berichteten.
Aus Frust wegen anhaltender Blockaden aufgrund der zersplitterten politischen Landschaft des Landes hatten viele Tunesier bislang den Präsidenten unterstützt. Auch die Auflösung des CSM wurde von großen Teilen der Bevölkerung ausdrücklich begrüßt.
pe/gt

© Agence France-Presse