24 Stunden warten? Falsch! – So läuft die Suche nach Vermissten

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vermisst

Der Sohn, die Tochter kommt nach einer Partynacht nicht nach Hause, die beste Freundin taucht nicht zum vereinbarten Treffen auf, ihr Handy ist aus. Wann sollte man eine Vermisstenanzeige bei der Polizei stellen? Und was macht die Polizei?

Die Tochter will abends mit ihren Freunden um die Häuser ziehen. Normalerweise liegt sie spätestens zur Frühstückszeit im Bett, doch diesmal ist es anders. Ihr Handy ist ausgeschaltet. Normalerweise schickt sie eine Nachricht, wenn es später wird. Ist der Akku leer? Schläft sie woanders? Vielleicht ist die Nacht auch ausgeartet und sie ist noch unterwegs? Die Eltern suchen nach naheliegenden Erklärungen, versuchen schlimme Gedanken zu verdrängen. Doch mit jeder Stunde, in der das Mädchen nicht auftaucht, fressen sich die Sorgen tiefer in den Kopf. Könnte dem Kind etwas zugestoßen sein? Es wird Mittag, immer noch kein Lebenszeichen. Die Eltern überlegen, die Polizei einzuschalten. Aber kann man jetzt überhaupt schon eine Vermisstenanzeige aufgeben? Geht das nicht erst nach 24 Stunden?

Nein, das geht auch schon vorher. Es gibt kein Zeitlimit, ab wann eine Person als vermisst gilt. Ob die Polizei die Anzeige aufnimmt oder nicht, hängt aber von einem anderen Faktor ab: dem Alter des Kindes. Ist die Tochter schon 18, wird man den Eltern womöglich nahelegen, noch etwas abzuwarten. Volljährige können ihren Aufenthaltsort frei wählen und müssen niemandem erzählen, wo sie hingehen – auch nicht den eigenen Eltern. Wenn ein erwachsener Mensch für ein paar Tage nicht zu erreichen ist, kann man nicht einfach nach ihm suchen lassen, das darf die Polizei auch gar nicht.

Fahndung nur bei konkretem Verdacht

Eine Fahndung kann nur anlaufen, wenn…

  • sich die Person nicht mehr in ihrem gewohnten Lebensumfeld aufhält

  • ihr aktueller Aufenthaltsort unbekannt ist

  • und sie vermutlich in Gefahr ist.

Wenn etwa eine Frau nach einem Streit mit ihrem Partner ein paar Tage auf Tauchstation geht, wird die Polizei erstmal zum Abwarten raten. Auch wenn jemand mit gepackten Koffern abgehauen ist, gibt es keinen Grund, die Verfolgung aufzunehmen. Anders sieht es aus, wenn beispielsweise eine sonst sehr zuverlässige Mutter nach der Arbeit nicht nach Hause kommt.

Besteht der Verdacht auf ein Verbrechen oder einen Unfall, ist eine Vermisstenanzeige immer gerechtfertigt. Auch bei möglichen Suizidabsichten sollte man die Polizei einschalten. Bei Depressionen, Demenz oder anderen psychischen Krankheiten beginnt die Polizei grundsätzlich sofort mit der Fahndung. Das gleiche gilt, wenn ein Mensch vermisst wird, der auf lebenswichtige Medikamente angewiesen ist. Dann sollte die Suche so schnell wie möglich starten.

Kinder in Gefahr

Wenn es keine Anhaltspunkte für eine akute Gefahr gibt, wird die Polizei bei vermissten Erwachsenen erstmal empfehlen, abzuwarten. Bei Minderjährigen sieht die Sache anders aus. Die Eltern haben nicht nur das Sorgerecht, sondern auch die Pflicht, sich um das Kind zu kümmern. Dazu gehört auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Minderjährige können nicht einfach hingehen, wohin sie wollen. Kinder und Jugendliche gelten bei der Polizei automatisch als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und niemand weiß, wo sie sich aufhalten. Sofern die Ermittler keine anderen Erkenntnisse haben, gehen sie automatisch von einer Gefahr für Leib und Leben aus. 

Welche Fahndungsmaßnahmen konkret eingeleitet werden, hängt davon ab, wie die Polizei die Gefährdungslage einschätzt. Wenn ein Kind nicht in der Schule auftaucht oder beim Spielen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist, liegt der Gedanke an ein Gewaltverbrechen nahe. Hier zählt jede Minute und entsprechend hoch ist der Fahndungsaufwand. Bereitschaftspolizei, Suchhunde, Wärmebildkameras und Hubschrauber sind hier nicht unüblich. Auch bei Erwachsenen beginnt die sogenannte „unmittelbare Personensuche“, wenn Lebensgefahr vermutet wird. Anders sieht es aus, wenn beispielsweise ein Jugendlicher das Weite sucht, nachdem er Ärger mit seinen Eltern hatte. Die Erfahrung zeigt, dass Ausreißer meist schnell wieder auftauchen oder zumindest ein Lebenszeichen geben.

Alle Fälle sind gespeichert

Nach der Anzeige werden die Personalien von Vermissten immer im sogenannten „Informationssystem der Polizei“ erfasst. Darauf haben alle deutschen Polizeidienststellen Zugriff. Bei einer Polizeikontrolle fällt also sofort auf, wenn eine Person als vermisst gemeldet ist. Außerdem werden die Daten automatisch mit denen von unbekannten Toten oder nicht identifizierten hilflosen Personen abgeglichen.

Aktuell umfasst die Vermissten-Datei im Informationssystem rund 16.000 Personen. Jeden Tag kommen etwa 250 bis 300 neue Fälle dazu, ebenso viele können wieder gelöscht werden. Etwa die Hälfte der Vermisstenanzeigen ist schon innerhalb der ersten Woche erledigt. Im besten Fall, weil die Verschwundenen wieder auftauchen, im schlechtesten weil die Angehörigen traurige Gewissheit haben, dass ihre Lieben nicht mehr am Leben sind.

Nicht jeder will gefunden werden

Nach einem Monat sind 80 Prozent der Anzeigen hinfällig, so die Zahlen des Bundeskriminalamts. Länger als ein Jahr bleiben nur drei Prozent der Vermissten verschollen. Bei vermissten Kindern liegt die Aufklärungsquote bei fast 98 Prozent. Die ungeklärten Fälle bleiben bis zu 30 Jahre lang in der Vermisstenkartei gespeichert, wenn eine Person nicht vorher für tot erklärt wird.

Die meisten Vermisstenanzeigen nehmen glücklicherweise ein besseres Ende. Wenn ein Kind gefunden wird, wird es zu den Erziehungsberechtigten zurückgebracht oder in Obhut genommen. Bei Erwachsenen ist die Sache nicht ganz so einfach. Der Anzeigensteller wird zwar darüber informiert, dass die Person wieder aufgetaucht ist. Er hat aber nicht das Recht, zu erfahren, wo sich der oder die Vermisste befindet. Den Aufenthaltsort darf die Polizei nur mit Einverständnis mitteilen. Denn womöglich möchte der Verschollene ja gerne unauffindbar bleiben.

Quelle: ntv – mit freundlicher Genehmigung -von Isabell Noé