Memmingen – Notfallgäu 2016 – „Emotional stark belastend“

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Klinikum Memmingen Notfallsymposium thematisiert Terroranschläge und seltene Kindernotfälle

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Foto: Pöppel

Ein Kleinteil verschluckt, am Herd verbrüht oder von einem Auto angefahren – Kindernotfälle kommen glücklicherweise selten vor, aber gerade deshalb fehlt bei solchen Einsätzen oft die notwendige Routine, weiß Notfallklinikleiter Dr. Rupert Grashey vom Klinikum Memmingen und hat deswegen solche Ereignisse auf die Tagesordnung beim Notfallsymposium in der Memminger Stadthalle gesetzt. Ein weiteres Thema war die medizinische Erstversorgung bei einem Terroranschlag.

Kindernotfälle bilden nur rund fünf Prozent aller Notarzteinsätze. „Sie sind selten, häufig aber emotional stark belastend“, erklärte Notfallmediziner Dr. Rupert Grashey. Kinder hätten nicht nur eine andere Physiologie, andere Vitalwerte und eine empfindlichere Psyche als Erwachsene, sondern auch die Medikamentendosierung könne bei Kindern unter Berücksichtigung von Körpergewicht und Körpergröße nicht von einer Dosis für Erwachsene abgeleitet werden.

„Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Bei den noch unreifen Organen wie Leber und Niere funktioniert der Medikamenten- und Narkoseabbau anders als beim Erwachsenen“, schilderte Dr. Nina Sellerer vom Dr.-von-Haunerschen Kinderspital in München. „Zudem ist der Sauerstoffbedarf dreimal höher, die Sauerstoffreserve aber dreimal geringer als beim Erwachsenen. Dadurch sind die Kinder im Vergleich neunmal schneller gefährdet.“ Aus diesem Grund sei bei Kindern noch mehr als bei Erwachsenen Schnelligkeit gefragt. „Allerdings kann ein Beatmungsschlauch aufgrund der viel engeren Luftröhre und der schnell anschwellenden Schleimhäute im Rachenraum schlechter gelegt werden“, erklärte Kinderintensivmediziner Dr. Ralf Pallacks vom Klinikum Memmingen.

Großer Übungsbedarf bei Rettungskräften besteht auch beim aktuell viel diskutierten Thema Terror: „Bei Terroranschlägen  werden wir mit ganz anderen Verletzungen konfrontiert, als wir es aus unserer alltäglichen Arbeit im Rettungsdienst gewohnt sind“, beschrieb Professor Dr. Christian Schinkel, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Handchirurgie und Orthopädie am Klinikum Memmingen. „Die Verletzungen bei einem Attentat ähneln Kriegsverletzungen, also beispielsweise Stich- und Schusswunden oder Verletzungen durch Splitterbomben.“ Deswegen würde oft die Versorgung in den ersten zehn Minuten über Leben oder Tod entscheiden. „Denn meist verlieren die Opfer viel Blut“, so Schinkel. Hier könne beispielsweise ein künstlicher Zugang in den Brustkorb notwendig werden, um die Lunge zu entlasten. Solch eine invasive Notfalltechnik benötigt viel Übung, weiß Manfred Lorenz vom Deutschen Roten Kreuz Bodensee-Oberschwaben, der einen Workshop betreute, bei dem der künstliche Lungenzugang oder ein Luftröhrenschnitt an Tierfleischpräparaten geübt werden konnte.

Thema beim Symposium war heuer auch der Eigenschutz von Rettungskräften: „Denn das Aggressionspotential gegenüber Helfern hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen“, begründete Notfallmediziner Grashey die Themenauswahl.

Sind Rettungskräfte am Einsatzort Gefahren ausgesetzt, gilt laut dem oberallgäuer Gesundheitspädagoge Christian Löckher-Hiemer: „Riskieren Sie nichts! Ihr Leben und Ihre körperliche Unversehrtheit gehen vor.“ Wenn man sich als Rettungskraft unsicher fühle, solle man die Polizei dazu rufen und im Rettungswagen warten, bis die Streife am Einsatzort eingetroffen ist, erklärte er bei einem Deeskalationstraining. Hilfreich seien laut dem Trainer auch ein ruhiges, besonnenes Auftreten, eine feste Stimme, Augenkontakt und „Abstand halten. Ich stelle mich seitlich hin, um meine Lebenslinie zu schützen. Die Hände vor Gesicht und Brust, um im Notfall Angriffe schnell abwehren zu können.“

„Die Notfallversorgung in Deutschland gilt auch dank Ihrer Hilfe als eines der besten flächendeckenden Systeme der Welt“, betonte der neue Memminger Oberbürgermeister Markus Kennerknecht in seinem Grußwort und der Schirmherr der Veranstaltung, der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann, fügte hinzu: „Rettungskräfte müssen nicht nur von einer Sekunde auf die andere mit Einsätzen rechnen, sondern sich auch darauf einstellen, mit komplexen, schwierigen und nur selten vorkommenden Notfallsituationen konfrontiert zu werden.“ 

Nach den großen Allgäuer Notfallsymposien der 1980er und 1990er Jahre hatten die Veranstalter vom Klinikum Memmingen (Dr. Rupert Grashey, Professor Dr. Lars Fischer und Professor Dr. Christian Schinkel) diese Reihe nach langer Pause im Jahr 2012 wieder aufleben lassen, um über die neuesten Standards in der Rettung, Versorgung und Therapie von Notfallpatienten zu informieren. Sie waren damit weit über die Grenzen des Allgäus hinaus auf großes Interesse gestoßen.

„Für notfallmedizinisch Tätige gibt es kaum qualitativ hochwertige Veranstaltungen“, erklärte Grashey. „Das wollten und wollen wir mit unserer `Notfallgäu´-Reihe ändern.“

Heuer erstreckte sich das Symposium erstmalig über zwei Tage: „Wir haben den Wunsch vieler Teilnehmer aus den letzten Jahren aufgegriffen und die Workshops und Vorträge zeitlich getrennt“, so die Organisatoren. „Denn bisher war es so, dass, wer die Workshops besuchte, die Referenten verpasste.“ Die rund 350 Teilnehmer kamen aus Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Italien zum fünften Notfallsymposium in die Memminger Stadthalle.

 

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Foto: Pöppel