Das Memminger Kinderfest und seine geschichtliche Entstehung

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Foto: Pöppel

Der Ursprung des Memminger Kinderfests ist nicht bekannt, und auch wann es wirklich das erste Kinderfest in Memmingen gab, ist nicht bekannt. Die früheste Erwähnung findet es in einem Ratsprotokoll von 1571, in dem der Rat den Brauch abschaffen will, weil die Kosten zu hoch sind und er an keinem anderen Ort gebräuchig ist. Wahrscheinlich reicht der Brauch aber bereits ins Mittelalter zurück.
Ein Vergleich mit anderen Kinderfesten lässt darauf schließen, dass der Anlass zu solch einem Fest früher die Auszeichnung der besten Schülerinnen und Schüler nach dem Frühlingsexamen sowie eine Frühlingswanderung der Schulklassen war. Diese Schulausflüge brachten den Schülerinnen und Schülern einerseits einen unterrichtsfreien Tag, andererseits hatten sie aber auch die Pflicht, an diesem Tag Strafruten zu sammeln, wie beispielsweise auch beim Landsberger Ruethenfest oder dem Stabenfest in Nördlingen.

Eine genaue Beschreibung des Ablaufs eines Kinderfestes geht erstmals aus der Ordnung der Königin inn denn Meidlin Schuolen vom 2. Juni 1587 hervor. Der dort beschriebene Ablauf lässt sich teilweise auch im heutigen Kinderfest in veränderter Form finden. Das Fest begann damals damit, dass nach dem Frühlingsexamen am Donnerstag vor Pfingsten die besten Schülerinnen am Morgen und Mittag gemeinsam den Gottesdienst besuchten. Anschließend aßen dann alle zusammen in der Wohnung des Schulmeisters zu Mittag. Die Schülerinnen hatten dabei eine genau festgelegte Brotzeit mitzubringen. Zu dieser Zeit war es üblich, dass die Schulkinder in der Wohnung des Schulmeisters oder in Zunfthäusern unterrichtet wurden. Nach dem genannten Essen wurden die besten Schülerinnen mit Geschenken belohnt und zu Königinnen gekürt. Die Königinnen wurden mit feinen Kleidern festlich eingekleidet. Nachmittags traf man sich dann zum Singen und zum Reigentanz auf dem Marktplatz, wobei im Anschluss diesmal die Schulmeister mit ihren Frauen sowie die Königführerinnen von den Eltern der besten Schülerinnen zum Essen eingeladen wurden. Einige Tage später traf man sich dann nochmals, bei schönem Wetter, zu einem gemeinsamen Spaziergang. [Vgl. Habereder, Werner/ Engelhard, Christoph, S. 3f.] Während des Dreißigjährigen Krieges fanden das Fest und die Wanderung nicht statt, ebenso musste es in den Jahren 1703 und 1704 wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage ausfallen. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 7]

In den Anfängen des Kinderfestes wurden nur die Mädchen zu Königinnen gekrönt. Erst im 17. Jahrhundert wurde das Ritual schließlich auch auf die Jungen übertragen. 1789 wurde aufgrund vieler Missbräuche zum letzten Mal die Krönung der besten Schülerinnen und Schüler vorgenommen. In den darauffolgenden Jahren entfiel der Brauch des Königmachens.

Breiteits in den Jahren zuvor gab es immer wieder Bestrebungen, die Krönung abzuschaffen. Da diese mit hohen Kosten für die Eltern des betreffenden Schülers verbunden war, entschieden oftmals nicht die Schulleistungen über die Wahl zur Königin oder zum König sondern die Bereitschaft der Eltern, die Krönung zu finanzieren. Im Jahre 1571 wurde zum ersten Mal darauf verzichtet, aber schon ein Jahr später wurde die Krönung allerdings wieder abgehalten, unter der Bedingung, dass die finanzielle Situation die Wahl nicht beeinflussen darf. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 7]

Königreich Bayern und Deutsches Kaiserreich (1803-1918)

Nach der Mediatisierung im Jahr 1804 verloren die Reichsstädte, zu denen Memmingen gehörte, ihre Reichunmittelbarkeit. Das Kinderfest fand schließlich im Großen und Ganzen wieder in seiner ursprünglichen Form statt. Auf das gemeinsame Singen und Tanzen folgte ein Umzug mit Musik, worauf im Anschluss unter Aufsicht der Lehrer im Reichshain verschiedene Spiele gespielt wurden. Zusätzlich wurde in den Liederkanon die bayerische Königshymne aufgenommen.

In der Memminger Chronik des Jahres 1805 wird der Verlauf des Kinderfestes wie folgt beschrieben: Am Mittwoch nach Pfingsten fanden die „Krönung“ und das Austeilen der Geschenke statt. Im Anschluss zogen die Schülerinnen und Schüler an drei Tagen in die Kirche. Am Donnerstag nach Pfingsten fand dann ein kleiner Umzug statt, an dem die Kinder mit Gesang und kleinen Aufführungen durch die Stadt zogen.

Dieser traditionell erhaltene Ablauf wurde 1913 durch einen historischen Kinderfestzug ergänzt, welcher mit Originalkostümen aus dem städtischen ausgestattet war. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 10f.]

Weimarer Republik und NS-Zeit (1919-1945)

In den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es zu einer zunehmenden Politisierung des Festes. Es wurde nämlich mit dem Verfassungstag und der Vorzeigung der Konstitutionsmedaille zum Konstitutions- und Kinderfest zusammengefasst. Im Liederkanon fehlte nun die Königshymne. [Vgl, Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 10]

Auch die Intoleranz der protestantentischen Stadt Memmingen gegenüber ihren katholische Bürgern zeigte sich in der Gestaltung des Kinderfests. [Vgl. Hoser, Paul: Die Geschichte der Stadt Memmingen. Vom Neubeginn im Königreich Bayern bis 1945. Stuttgart 2001, S. 322] So wurden die katholischen Kinder erst in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in das Fest einbezogen. Vorher fand beispielsweise die Beschenkung der Schüler getrennt voneinander statt. In dieser Zeit wurden auch jüdische Kinder in den Festakt integriert. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 10] Zur Zeit der Weimarer Republik enthielt das Kinderfest weiterhin die traditionellen Elemente. Das Stängele, welches vorher mit Geschenken behängt war, wurde nun mit Blumen geschmückt. Am Festablauf waren nun die Knaben- und Stadtkapelle ebenso wie die Trommlerbuben und Mitglieder des Turnvereins beteiligt.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kam es abermals zu einer Politisierung des Festes. Aufstellung und Reihenfolge der Mitwirkenden beim Umzug wurden genau festgelegt und die musikalische Gestaltung wurde von der SA- bzw. HJ-Kapelle übernommen. Die Lehrer wurden dazu aufgefordert, zum Festtag einen Sonntagsanzug oder die braune Parteiuniform zu tragen. [Vgl. Habereder, Werner/engelhard, Christoph, S.16ff.] Im Programmablauf von 1939 heißt es beispielsweise:

Marsch [der Schülerinnen und Schüler] zum Marktplatz, dort Aufstellung in Säulen mit Front zur Sparkasse. Hierbei beachten:

Für jede der 11 Säulen ist ein Strich senkrecht zur Sparkasse gezogen.[…]

Geordnetes Einmarschieren und exaktes Einbiegen auf dem Marktplatz ist erforderlich.

Die Kinder im Zuge nie springen lassen!

Während der kurzen Ansprache muß unbedingte Ruhe herrschen. …[Habereder, Werner/engehard, Christoph, S. 18]

Den nationalsozialistischen Einflüssen zum Trotz wurden weiterhin auch geistliche Lieder gesungen.

Der Liederkanon wurde allerdings um ein Marschlied, die Nationalhymne sowie die erste Strophe des Horst-Wessel-Lieds ergänzt.

Im 2. Weltkrieg musste das Fest aufgrund von personellen Gründen und Problemen bei der Beschaffung der materiellen Güter ausfallen, bis es 1946 dann wieder stattfand. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 19]

Wiederbeginn und Durchführung bis 1974

Regelmäßig ging das Kinderfest erst ab 1949 wieder von statten. Die Bedingungen waren vor allem am Anfang sehr schwer. So herschten eher chaotische Zustände und Geschenke waren nur in einem geringen Ausmaß vorhanden. Das Kinderfest musste deswegen in den Jahren 1947 und 1948 ausfallen. Im August 1949 richtete die amerikanische Besatzungsmacht zudem ein All Nations Kinderfest aus. Vermutlich war die Idee, die dahinter steckte, die Zusammenführung und Integration von Kindern unterschiedlicher Herkunft und Religion. Bei den Kindern war diese Ausführung des Festes aber vor allem wegen der besonderen Geschenke, wie Schokolade oder Bananen, beliebt, denn beim üblichen Kinderfest handelte es sich bei den Geschenken um Schulartikel, Kochlöffel, Zahnbürsten oder Hosenträger. Finanziert wurde das Kinderfest in dieser Zeit vor allem durch Sachspenden von Memminger Geschäftsleuten und durch die Geldspenden der Bevölkerung.[Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 20f.]

1952 wurde das Kinderfest vom Donnerstag vor Pfingsten auf den Donnerstag nach Pfingsten verlegt, da in der Woche nach Pfingsten Schulferien waren. Durch diese organisatorische Änderung wurde über eine generelle Verschiebung des Festes auf das Ende des Schuljahres diskutiert. Seit 1955 findet das Kinderfest nun jedes Jahr am 21. Juli in der Woche vor den Sommerferien und zwei Tage vor dem ebenfalls traditionellen Memminger Fischertag statt. Im Jahre 1955 entstanden außerdem weitere Zunftgruppen und es fanden erste Auftritte der Kinder beim Fischertag statt. Auch heute werden am Fischertag von Schülerinnen und Schülern der Bismarckschule Zunfttänze aufgeführt.[Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 25]

Reform 1974

1974 wurde das Kinderfest dann umfassend reformiert. Die bisherige Gliederung des Festaktes in die drei Abschnitte Gottesdienst, Lieder und Tänze, Festumzug und buntes Treiben auf dem Memminger Stadiongelände blieb dennoch in den Grundzügen erhalten. [Vgl. Habereder, Werner/Engelhard, Christoph, S. 28]

Quelle: www.brauchwiki.de