Das IHK-Pilotprojekt „Die Obermayers“ macht Geschichte erlebbar
Der Name der Bankiersfamilie Obermayer ist auf vielfältige Weise mit der Wirtschaftsgeschichte Augsburgs und der gesamten Region verbunden. Sie förderten beispielsweise den Aufstieg der Stadt zum Zentrum der deutschen Textilindustrie oder finanzierten den Bau der Eisenbahnlinie zwischen München und Augsburg mit. Mit einem Pilotprojekt, das in bewegten Bildern das unternehmerische und gesellschaftliche Handeln dieser jüdischen Familienunternehmer greifbar macht, hat die IHK Schwaben einen Beitrag geleistet, verwehte Spuren dieser Geschichte wieder sichtbar zu machen. Jetzt feierte der Film Premiere bei einer Vorstellung in der LEW-Energiewelt in Augsburg.
Welcher Blick in die Wirtschaftsgeschichte liefert neue Erkenntnisse? Wie kann Geschichtsarbeit einen positiven Effekt für die Zukunft der Region haben? Diese Fragen stellte sich die IHK Schwaben anlässlich ihres 180. Jubiläums im vergangenen Jahr. Die Antwort auf diese Fragen ist ein Gemeinschaftsprojekt unterschiedlicher Partner und ein aufschlussreicher Film, der zum Teil in Vergessenheit geratene Fakten und Biographien zu Tage fördert. „Die Obermayers“ ist die Geschichte einer Familie, die den Weg von einfachen Viehhändlern aus Kriegshaber zu wichtigen Mitspielern im Welthandel schaffte. Die mit ihren Visionen und ihren Investitionen maßgeblich zum Aufstieg Augsburgs beigetragen hat. „Wir wollen die Geschichte der bayerisch-schwäbischen Wirtschaft anhand konkreter Biografien greifbar und erlebbar machen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Marc Lucassen. „Und daraus einen Mehrwert für die künftige Entwicklung des bayerisch-schwäbischen Wirtschaftsstandortes ableiten.“
Nachhaltiger Beitrag jüdischer Familienunternehmen
Und noch eine Botschaft vermittelt der Film, wie die Historikerin Prof. Dr. Marita Krauss, Professorin i. R. an der Universität Augsburg, betont: „Der Film beleuchtet exemplarisch den wichtigen Beitrag jüdischer Unternehmerfamilien und bayerischer Kommerzienräte zur Wirtschaftsgeschichte unserer Region.“ Krauss obliegt die wissenschaftliche Leitung des von IHK-Hauptgeschäftsführer Lucassen initiierten Pilotprojektes. In der Recherche und Umsetzung arbeitete sie eng mit dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben und dem Bayerischen Wirtschaftsarchiv in München zusammen. „Die Obermayers“ basiert auch auf dem von Krauss herausgegebenen Buch „Die bayerischen Kommerzienräte – Eine deutsche Wirtschaftselite von 1880 bis 1928“. Deutlich wird darin die große Bedeutung jüdischer Familien im Wirtschaftsleben Augsburgs und der gesamten Region: „Obwohl Bürger jüdischer Konfession zur damaligen Zeit nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmachten, lag ihr Anteil an allen Kommerzienräten bei 15 Prozent“, so Krauss. Der Film soll über vierschiede Plattformen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Der biografische Zugriff macht exzeptionelle Personen sichtbar. Damit in Schulen, bei Ausstellungen und Veranstaltungen für Toleranz und Miteinander in der Gesellschaft zu werben, macht das Projekt besonders“, sagt Krauss.
Die Obermayers: Isidor, Carl und Max
Isidor, Carl und Max Obermayer sind die Protagonisten des zehnminütigen Kurzfilms. Mit historischen Fotoaufnahmen und aktuellen Filmsequenzen wird der Bezug zwischen Augsburgs wirtschaftlicher Vergangenheit und der Gegenwart geschaffen. Papierkunst wirft Schlaglichter auf die wichtigsten Stationen der Familie Obermayer – und damit auch auf die Wegmarken der Stadt- und Regionalgeschichte, die die Historikerin Krauss mit ihren O-Tönen einordnet. So ging etwa vom Familiensitz der Obermayers im heutigen Standesamt die Gründung der jüdischen Gemeinde in Augsburg aus. Gleichzeitig ist die Familiengeschichte eng verbunden mit der Industrialisierung in Augsburg. Die Bankiers fungierten als Finanziers wichtiger Augsburger Unternehmen. Ihr erfolgreiches unternehmerisches Handeln sicherte den Obermayers zudem großen politischen Einfluss und höchste Ehrenämter. Diese nutzten die Familienmitglieder auch beim Bau der Eisenbahn. Der Film ist das Ergebnis einer Spurensuche zu einer Familie, deren Mitglieder heute unter anderem in den USA leben.
Jüdische Wirtschaftsgeschichte erzählen
Warum ausgerechnet ein Dokumentarfilm über eine jüdische Unternehmerfamilie des 19. und 20. Jahrhunderts? „Zentrales Anliegen ist es, die ursprüngliche Ausgrenzung und schrittweise Integration von Juden am konkreten Beispiel zu zeigen, ihre wichtige Rolle in großen Unternehmungen, ihr gesellschaftliches Engagement“, so Professorin Krauss. Deutlich wird auch die Bedeutung jüdischer Wirtschaftsbürger für die IHK-Organisation. Als Kommerzienräte des Königreichs und des späteren Freistaats Bayern gehörten sie zur ökonomischen und gesellschaftlichen Elite ihrer Zeit und prägten auch die 1843 gegründete Industrie- und Handelskammer in Augsburg im Ehrenamt maßgeblich mit. „Jüdische Geschichte sollte nicht nur als Geschichte der Shoah begriffen werden, die rückblickend den Aufstieg und die Bedeutung jüdischer Familien im 19. und 20. Jahrhundert verdunkelt“, sagt Krauss. „Es geht darum, jüdische Unternehmer als genuinen Teil des wirtschaftenden Bürgertums in Schwaben sichtbar zu machen, in ihrer Bedeutung für die Entwicklung Bayerns und besonders Bayerisch-Schwabens.“
Premiere in der LEW-Energiewelt
Bei der Premiere des Films in der LEW-Energiewelt am Augsburger Königsplatz unterstrich LEW-Vorstand Christian Barr die Bedeutung wirtschaftsgeschichtlicher Arbeit. Bei LEW arbeitet ein Historikerteam an der systematischen Erschließung von Beständen und Archiven. Demnächst soll eine Unternehmenschronik erscheinen. Christian Barr erinnerte an Bernhard Salomon – eine der prägenden Persönlichkeiten der deutschen Energiewirtschaft und Gründer von LEW – der ebenfalls jüdische Wurzeln hatte. Der in Frankfurt lebende, erfolgreiche Geschäftsmann war hoch geachtet und musste gleichwohl im hohen Alter einschneidende Veränderungen durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten erleben. Er starb 1942, kurz bevor er in das KZ Theresienstadt deportiert werden sollte. „Bernhard Salomon war Pionier und Gestalter deutscher Wirtschaftsgeschichte. Sein bewegtes Leben mit seiner unglaublichen Lebensleistung ist auch ein Beispiel für ein deutsch-jüdisches Schicksal“, sagte Christian Barr.