Memmingen | „Wir müssen erinnern“ – Ausstellungsprojekt VerVolkt

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Antisemitismusbeauftragter Dr. Ludwig Spaenle mahnt zum Eintreten gegen heutiges Unrecht – Gedenkabend für regionale Opfer des Nationalsozialismus in der Martinskirche

„Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen“, zitierte Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der selbst Opfer der Nazis geworden war. „Dieser Satz hat sich mir eingebrannt“, betonte Spaenle bei einer Gedenkveranstaltung in der Martinskirche für die Verfolgten und Opfer des Nationalsozialismus in Memmingen und im Allgäu. „Wir müssen erinnern an Menschen, die diesem Terror zum Opfer gefallen sind.“ Und es gelte heute, wachsam zu sein. „Judenhass ist jeden Tag präsent. Dagegen aufzustehen ist unsere Pflicht.“

Solange jüdische Menschen heute in ihrem Lebensentwurf bei uns eingeschränkt werden, sei mit dem zivilisatorischen Zustand unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung, betonte Staatsminister a.D. Spaenle. Die Zahl der einschlägigen Straftaten nehme leider zu. „Die Zivilgesellschaft muss sich dem entgegenstellen. Der Diskurs innerhalb der Gesellschaft ist der richtige Weg dazu. Es geht darum, darüber zu sprechen, das Erbe anzunehmen und Wissen zu vermitteln in Schulen, in der Erwachsenenbildung und im Ehrenamt.“ Gerade in Schwaben sei ein unglaublich reiches jüdisches Erbe vorhanden, das nicht allein als jüdische Geschichte verstanden werden darf, sondern als Erbe dieses Raumes.

Die Nazis löschten das Leben von Millionen jüdischer Menschen in Deutschland aus und sie wollten ebenso die Erinnerung an die jüdische Kultur vernichten, führte Spaenle aus. „Dem entgegenzuwirken ist Ziel des Gedenkjahres 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, betonte er. Das Stadtmuseum Memmingen trägt zu diesem Ziel mit dem groß angelegten Ausstellungsprojekt „VerVolkt – Dieses Projekt kann Spuren von Nazis erhalten“ bei und will damit auf Antisemitismus in unserer Gesellschaft aufmerksam machen. „Es ist ein großartiges Ausstellungsprojekt geworden, für das ich Kuratorin Regina Gropper herzlich danke“, würdigte Oberbürgermeister Manfred Schilder. Der Dank gelte zudem dem Stadtmuseum mit dessen Leiterin Ute Perlitz.

Über hundert Namen Memminger Bürgerinnen und Bürger finden sich im Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Juden im Bundesarchiv. Einigen der Schicksale ist Filmemacher Leo Hiemer in seinem Film „Kann Spuren von Nazis enthalten“ nachgegangen. „Dieser Film bildet eine Brücke vom Gestern zum Heute“, beschrieb OB Schilder. Die Besucherinnen und Besucher der Gedenkveranstaltung konnten den Film in der Martinskirche sehen und spendeten langanhaltenden Beifall.

Die Opfer der nationalsozialistischen Gräueltaten lebten hier vor Ort, brachte Dekan Christoph Schieder in Erinnerung. „Es waren Kinder, Frauen und Männer in einem bunten, beziehungsreichen Leben, denen das wertvollste geraubt wurde, was sie hatten: ihre Würde und ihr Leben.“ Und nicht nur die Opfer, auch die Täter lebten mitten unter uns. „Mit diesen schmerzlichen, bitteren und schwerwiegenden Wahrheiten konfrontieren wir uns heute Abend.“

Regina Gropper, Kuratorin des Ausstellungsprojekts, rief zu einer Schweigeminute für die Opfer auf. Sie erzählte von ihrer persönlichen Motivation, sich dem Thema Verfolgung während der Nazizeit anzunehmen. Als Kind habe eine Nachbarin und KZ-Überlebende immer wieder von ihren Erfahrungen erzählt und damit bei Regina Gropper eine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit diesem Thema bewirkt. Das Ausstellungsprojekt „VerVolkt“ ist ein Teilhabeprojekt, das durch die Mitwirkung von vielen entstanden ist und weiterwachsen soll.

Musikalisch wurde die Gedenkveranstaltung gestaltet von Rainer von Vielen. Sie sangen Lieder, die aufhorchen ließen, aus dem Theaterstück „Die Jüdin und der Kardinal“ von Leo Hiemer, das im Herbst im Theater in Kempten gezeigt wird.