„Ballett zwischen Mensch und Maschine“

-

Print Friendly, PDF & Email

Für ihre Kunst braucht Sofia Crespo weder Zeichenstift noch Pinsel. Die 30-jährige Argentinierin erschafft ihre Werke mit Hilfe künstlicher Intelligenz – ein Trend, der auch auf dem Kunstmarkt auf wachsendes Interesse stößt.
Crespo nutzt die Methode, um Tiere nachzubilden. Ihre Insekten sind seltsam hyperrealistisch, mit Antennen, Flügeln und Körpern, die einem Lehrbuch entnommen zu sein scheinen. Nur dass ihnen allen ein Kopf fehlt und ihre Körper aussehen, als hätten sie mehrere genetische Mutationen durchgemacht.
Computer Bilder generieren zu lassen, scheint einfach. Tatsächlich sei es unglaublich schwierig, sie so zu programmieren, dass sie zufriedenstellende Ergebnisse erzeugen, sagt Crespo. Es sei eher so, als würde man die Maschine „babysitten“.
Der US-Künstler und Programmierer Robbie Barrat gilt mit seinen 22 Jahren als das Wunderkind der Szene. Er verkaufte im März beim Auktionshaus Sotheby’s ein Werk mit dem Titel „Nude Portrait#7Frame#64“ für 630.000 Pfund (730.000 Euro).
Barrat begann seine Arbeit um das Jahr 2018. Er fütterte seinen Computer mit tausenden von Aktdarstellungen der klassischen Kunst und trat in einen Dialog mit der Maschine, bis er bekam, was er suchte: eine Reihe amorpher Büsten, angesiedelt zwischen Salvador Dali und Francis Bacon. 
„Wenn ich auf diese Weise arbeite, erschaffe ich kein Bild. Ich erschaffe ein System, das Bilder erzeugen kann. In gewisser Weise erschaffe ich ein Werkzeug“, sagt er. Der Sammler Jason Bailey spricht von einem „Ballett zwischen Mensch und Maschine“.
Künstler in Deutschland und den Vereinigten Staaten beschäftigten sich bereits in den 60er Jahren mit computergenerierter Kunst. Das V&A-Museum in London verfügt über eine Sammlung, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückreicht. Als Schlüsselwerk gilt „Plastik 1“ des deutschen Künstlers Georg Nees von 1968. Nees verwendete einen Zufallszahlengenerator, um ein geometrisches Muster für seine Skulptur zu erstellen.
Heute arbeiten Künstler wie Crespo und Barrat mit sogenannten „Generative Adversarial Networks“ (GAN) – konkurrierenden KI-Systemen, die sich wechselseitig korrigieren.
Technologieunternehmen arbeiten an KI-Tools, die ganz neue Möglichkeiten eröffnen, Bilder zu erzeugen – ganz ohne Programmierkenntnisse für jedermann.
Sowohl Google als auch das kalifornische Start-up OpenAI – finanziert unter anderem durch den Milliardär Elon Musk  – haben GAN durch benutzerfreundlichere KI-Modelle ersetzt, die in der Lage sind, Sprache in Bilder umzuwandeln.
Die Webseite von Google Imagen ist voll von absurden Bildern, die durch Anweisungen wie diese erzeugt werden: „Ein kleiner Kaktus mit Strohhut und neonfarbener Sonnenbrille in der Wüste Sahara“. OpenAI rühmt sich, dass sein Tool DALL-E 2 jedes Szenario in jedem künstlerischen Stil von den flämischen Meistern bis Andy Warhol gestalten kann.
„Das ist das Beste, was es im Bereich der Bilderzeugung gibt“, urteilt Künstlerin Crespo, nachdem sie mit DALL-E 2 experimentierte. Fachleute gehen davon aus, dass diese Programme die gesamte Branche der Bildgestaltung und -bearbeitung revolutionieren werden.
Camille Lenglois vom Centre Pompidou in Paris – Europas größte Sammlung zeitgenössischer Kunst – macht sich dennoch keine Sorgen, dass Maschinen Künstler ersetzten könnten: „Die Fähigkeit, realistische Bilder zu erzeugen, macht einen noch nicht zum Künstler.“
sp/ans

© Agence France-Presse