Israels Regierung nach Zusammenstößen am Tempelberg vor der Zerreißprobe

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Die zunehmende Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern stellt Israels Acht-Parteien-Koalition vor die Zerreißprobe. Nach zweitägigen Zusammenstößen rund um den Tempelberg in Jerusalem drohte die arabische Raam-Partei am Sonntagabend mit einem Rückzug aus der Koalition von Ministerpräsident Naftali Bennett, sollte die Regierung ihr hartes Vorgehen gegen palästinensische Demonstranten fortsetzen. Bei den Auseinandersetzungen wurden seit Freitag mindestens 170 Menschen verletzt, zumeist Palästinenser.
Die Lage in der Jerusalemer Altstadt war in den vergangenen Tagen besonders angespannt, weil der muslimische Fastenmonat Ramadan in diesem Jahr mit dem jüdischen Pessach-Fest und Ostern zusammenfällt. Nach heftigen Zusammenstößen zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften, bei denen bereits am Freitag mehr als 150 Menschen verletzt worden waren, lieferten sich beide Seiten am Sonntag erneut heftige Auseinandersetzungen.
Nach Angaben der israelischen Polizei hatten hunderte Palästinenser am Sonntagmorgen versucht, einen Besuch religiöser Juden auf dem Platz vor der Al-Aksa-Moschee zu blockieren. Als sie anfingen Steine aufzuhäufen, seien die Sicherheitskräfte eingeschritten. Später sahen AFP-Reporter, wie mehrere jüdische Gläubige unter massivem Polizeischutz den Platz verließen. Nach Angaben des Roten Halbmonds wurden 19 Palästinenser verletzt, ein Teil von ihnen durch Gummigeschosse der Sicherheitskräfte.
Der Tempelberg ist allen drei Religionen heilig. Jüdische Gläubige beten dort an der Klagemauer. Den Platz vor der Al-Aksa-Moschee dürfen sie zu bestimmten Zeiten besuchen, nicht aber dort beten.
Bei einem weiteren Vorfall im von Israel annektierten Ost-Jerusalem warfen junge Palästinenser Steine auf vorüberfahrende israelische Busse. Sieben Menschen wurden leicht verletzt, die Polizei meldete die Festnahme von 18 Palästinensern. Regierungschef Bennett erklärte, die Sicherheitskräfte hätten „weiterhin freie Hand“, um „die Sicherheit der Bürger Israels zu gewährleisten“. Gleichzeitig betonte er, den Angehörigen aller Religionen müsse die freie Ausübung ihres Glaubens in Jerusalem möglich sein.
Nach der neuerlichen Gewalt verkündete die arabische Raam-Partei, ihre Mitarbeit in der Koalition auszusetzen. Sollte die Regierung ihre „Willkürmaßnahmen“ an der Al-Aksa-Moschee fortsetzen, werde sie das Bündnis „geschlossen verlassen“. 
Die Drohung der Partei hat keine unmittelbaren Auswirkungen, da die Knesset noch bis Anfang Mai in einer Sitzungspause ist. Wie aus Regierungskreisen verlautete, will Bennett versuchen die Wogen bis dahin zu glätten. Sollte ihm das nicht gelingen und die Raam-Partei die Koalition verlassen, könnte die Opposition ein Misstrauensvotum gegen ihn einleiten.
Bennett steht seit Juni an der Spitze einer Koalitionsregierung, deren acht Parteien aus allen politischen Lagern stammen – und in der mit der Raam-Partei erstmals auch eine arabische Partei vertreten ist. Vergangene Woche hatte die Koalition nach dem Rücktritt einer Abgeordneten aus Bennetts Jamina-Partei bereits ihre hauchdünne Mehrheit im Parlament verloren. Das Bündnis verfügt nun ebenso wie die Opposition über 60 Sitze in der Knesset. Die Raam-Partei stellt vier Abgeordnete.
Die oppositionelle Likud-Partei von Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte am Sonntagabend alle rechtsgerichteten Abgeordneten auf, die Koalition zu verlassen und eine neue „Regierung der Rechten“ mit jüdisch-orthodoxen und rechtsextremen Parteien zu bilden. „Wenn Juden am Pessachfest nicht mehr in Sicherheit durch Jerusalem laufen können“, müsse allen Abgeordneten klar sein, „dass diese Regierung am Ende ist“, erklärte sie.
Jordanien, das die heiligen islamischen Stätten auf dem Tempelberg verwaltet, machte Israel für die neuerliche Gewalteskalation verantwortlich. König Abdullah II. forderte Israel auf, „alle illegalen und provokativen Maßnahmen“ zu unterlassen, die die Lage weiter verschärfen könnten. Papst Franziskus forderte in seiner Osterbotschaft „freien Zutritt zu den Heiligen Stätten unter gegenseitiger Achtung der Rechte jedes Einzelnen“.
ans/mid

© Agence France-Presse