Katar, Ämter, Altlasten: Neuendorfs schwierige Gratwanderung

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DFB-Präsident Bernd Neuendorf zeigt mit seiner Kritik an Katar klare Kante. In Sachen Neubesetzung der Ämter bei UEFA und FIFA hält er sich noch bedeckt.
Frankfurt/Main (SID) Bernd Neuendorf huschte am Ende seiner schwierigen Gratwanderung ein breites Lächeln über das Gesicht. Klare Kante gegen Katar, offener Umgang mit den Problemfeldern des Deutschen Fußball-Bundes – und gar eine kleine Schelte an FIFA-Präsident Gianni Infantino: Der neue DFB-Präsident nährte mit seinem bislang größten öffentlichen Auftritt die Hoffnung auf einen echten Neuanfang beim schwer in der Kritik stehenden Verband – die Altlasten sollen endgültig abgeschüttelt werden. 
„Es ist richtig, in die Vergangenheit zu schauen, aber wir müssen den Blick definitiv auch nach vorne richten. Wir dürfen uns nicht ergeben in reiner Vergangenheitsbewältigung“, sagte Neuendorf im Aktuellen Sportstudio des ZDF: „Ich bin angetreten mit dem Motto, dass wir einen Wandel brauchen und die Querelen der letzten Jahre beendet werden.“ 
Dafür schreibt sich der 60-Jährige neben einer größeren Transparenz offensichtlich auch eine klare Positionierung bei brenzligen Themen auf die Fahne. 
Er habe sich von Infantino gewünscht, dass dieser „in Doha einige Sachen offener anspricht und die WM auch unter dem Aspekt Menschenrechte und nicht nur unter dem kommerziellen Aspekt gesehen wird“, monierte Neuendorf: „Da hätte ich mir vorgestellt, dass deutlicher angesprochen wird, was passieren muss.“ Denn die Defizite in Sachen Menschenrechte seien in Katar weiter offenkundig.
„Es hat Gesetzgebung gegeben, die Verbesserungen vorsieht, vom Mindestlohn angefangen bis zum freien Arbeitsplatzwechsel hin zu hygienischen Standards und Arbeitszeiten“, sagte Neuendorf. 
Jedoch sei die Umsetzung weiter fragwürdig. „Wir müssen die Stimme erheben und die katarische Regierung darauf drängen, dass die Umsetzung auch erfolgt“, sagte er weiter.
Im Zuge dessen werde der DFB auch mit der norwegischen Verbandspräsidentin Lise Klaveness, die mit ihrer kritischen Rede auf dem FIFA-Kongress für Aufsehen gesorgt hatte, eng zusammenarbeiten. Bereits am Montag soll es ein Telefonat geben, um über „konkrete Maßnahmen“ zu sprechen, sagte Klaveness dem SID. Der DFB unterstützt den norwegischen Vorstoß, im WM-Gastgeberland ein „Migrant Workers‘ Center“ zu schaffen.
Gleiches gelte für einen Hilfsfonds für die Familien der an den WM-Baustellen in Katar verstorbenen Arbeiter, betonte Neuendorf: „Wir wissen über Todesfälle an den Baustellen. Aber wir wissen nicht, wie es den Familien geht und wie mit denen umgegangen wird.“ Um international mehr Einfluss ausüben zu können, würde Neuendorf sicher auch ein Amt bei der UEFA oder FIFA helfen.
Doch noch lässt er seine Ambitionen diesbezüglich offen. „Das ist nichts, was ein Präsident allein entscheidet“, sagte er. Im ersten Schritt gehe es nach der Rückzugsankündigung von Rainer Koch aus dem Exekutivkomitee der UEFA darum, auch mit FIFA-Council-Mitglied Peter Peters Gespräche zu führen. „Ich bin bestrebt, das in diesem Fall mit ihm im Konsens zu lösen“, betonte Neuendorf.
Generell sei er ein großer Freund von konstruktivem Diskurs. Und alles habe schlussendlich den größeren Zweck, so der DFB-Präsident, langfristig „den Fußball wieder in den Mittelpunkt zu rücken“.
SID mk rd

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