mSTaRT: So funktioniert die Vorsichtung beim MANV – inkl. „Trauma & Intox“ und Kinder-Regeln

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Einleitung

Wenn viele Verletzte gleichzeitig versorgt werden müssen, entscheidet eine strukturierte Vorsichtung darüber, wem zuerst geholfen wird. In Deutschland hat sich dafür mSTaRT (modified Simple Triage and Rapid Treatment) etabliert – ursprünglich in München entwickelt, heute in vielen Rettungsdienstbereichen gelehrt und genutzt. mSTaRT baut auf dem US‑amerikanischen START‑Prinzip auf, ist aber für deutsche Strukturen und Gefahrstofflagen weitergedacht.

Was ist mSTaRT – und wofür wird es eingesetzt?

mSTaRT ist ein Vorsichtungs‑ bzw. Triagealgorithmus für den Massenanfall von Verletzten (MANV). Sein Ziel: kritisch bedrohte Patient:innen innerhalb von Sekunden erkennen und so Ressourcen (Notärzt:innen, Material, Transport) gezielt dorthin lenken, wo sie die meisten Leben retten. Der 2006 publizierte Kernansatz definiert erste Sichtung, Notfallbehandlung vor Ort und Transportpriorisierung als Teil eines einheitlichen Einsatzstandards.

Mit freundlicher Genehmigung – Quelle: https://www.doccheck.com/de/detail/photos/42660-mstart-schema

Sichtungskategorien (Farben)

  • I – Rot (sofort): vitale Bedrohung, sofortige Maßnahmen/Transport.

  • II – Gelb (dringlich): schwer verletzt/erkrankt, Behandlung zeitnah.

  • III – Grün (nicht dringlich): leicht verletzt/erkrankt, spätere Versorgung.

  • IV – Blau (palliativ/geringe Überlebenschance): nur ärztlich zu vergeben; in einigen Regionen nicht genutzt.

  • V – Schwarz (verstorben).
    Hinweis: IV und V werden nicht überall eingesetzt.


Der mSTaRT‑Ablauf in der Praxis (Erwachsene)

Leitidee:Schnell, eindeutig, reproduzierbar“. Im Erwachsenen‑Flow werden wenige, robuste Kriterien nacheinander geprüft:

  1. Eigenschutz/ABC‑Lage checken (Hinweise auf Noxen, gleiche Symptome bei mehreren).

  2. „Gehfähig?“ → Ja: SK III (grün) zur Sammelstelle.

  3. Tödliche Verletzung/keine Lebenszeichen?Kennzeichnung; Todesfeststellung durch Arzt.

  4. Atmung vorhanden? Falls nein: Atemwege freimachen; bleibt Apnoe → SK V.

  5. Atemfrequenz <10/min oder >30/minSK I.

  6. Massive Blutung? → sofort stillen; i. d. R. SK I.

  7. Radialispuls fehlt/Perfusion schlecht?SK I.

  8. Befolgt einfache Befehle nicht?SK I (sonst SK II).
    Spezialfall: Inhalationstrauma mit StridorSK I.

Praxiswerte aus München: Als grobe Richtwerte werden in Unterlagen der Berufsfeuerwehr München u. a. I ≈ 10–20 %, II ≈ 20–40 %, III ≈ 30–50 %, IV ≈ 10–15 %, V ≈ 10–15 % angegeben. Die SK IV wird „nur ärztlich“ vergeben (nach Freigabe LNA).


Erweiterung: mSTaRT „Trauma & Intox“ (Gefahrstoff‑/ABC‑Bezug)

Nach einem Reizgasvorfall in München wurde mSTaRT gezielt um Gefahrstoff‑Aspekte erweitert („Trauma & Intox“). Die Erkennung möglicher Kontamination, Not‑Dekontamination (z. B. Kleidung entfernen, Abwaschen) und die Priorisierung inhalatorischer Verletzungen (z. B. Stridor) sind im Algorithmus verankert. Damit adressiert mSTaRT auch CBRN‑Lagen, ohne den Ablauf unnötig zu verkomplizieren.


Kinder: Was aus JumpSTART einfließt

Bei Kindern gilt: Atemprobleme kommen oft vor Kreislaufstillstand. Deshalb sieht die pädiatrische Logik (JumpSTART) u. a. vor:

  • Apnoe + Puls vorhanden: 5 Beatmungen geben; setzt Spontanatmung ein, weiter triagieren.

  • Atemfrequenzgrenzen (häufig <15/min oder >45/min) als Red‑Kriterium.

  • Bewusstseinslage via AVPU (Alert/Verbal/Pain/Unresponsive).
    Diese Prinzipien sind in mSTaRT‑Lehrmaterialien für Kinder adaptiert.


Dokumentation & Rollen

Vorsichtung wird durch zuerst eintreffende Rettungsmittel initiiert und auf Verletztenanhängekarten dokumentiert; ärztliche Sichtung folgt so früh wie möglich. Aktuelle Landesrichtlinien (z. B. Bayern, MAN‑RL 2025) beschreiben den Rahmen Ersteinschätzung → Vorsichtung → Kennzeichnung/Registrierung und die Zusammenarbeit der Fachdienste.


Einordnung im deutschen Kontext: mSTaRT, START/SALT & PRIOR

  • START/SALT (USA): START (1983, Newport Beach/Hoag Hospital) ist die Urform („RPM“: Respiration, Perfusion, Mentalstatus). SALT ist eine neuere, all‑hazards‑Leitlinie mit expliziten life‑saving interventions vor der Einordnung. mSTaRT basiert konzeptionell auf START.

  • PRIOR (Deutschland): Parallel zu mSTaRT hat das BBK mit der DGKM den Vorsichtungsalgorithmus PRIOR entwickelt und evaluiert; der Einsatz durch Rettungsfachpersonal wird ausdrücklich genannt, eine ärztliche Sichtung muss zwingend folgen. PRIOR ergänzt CBRN‑Spezifika (PRIOR‑CBRN) und Indikatoren – insbesondere für nicht‑traumatologische Notfälle.

  • BBK‑Rahmen: Das BBK koordiniert Fachabstimmungen (Sichtungs‑Konsensus‑Konferenzen) und stellt Grundsatzinfos zur Sichtung/Triage bereit. Je nach Bundesland können Modellvarianten (z. B. mSTaRT – Modell Bayern) in Richtlinien verankert sein.


Stärken & Grenzen (realistisch betrachtet)

Stärken

  • Sehr schnell erlern‑ und anwendbar; robuste Kriterien, wenig Ausrüstung nötig.

  • Fließender Übergang in Behandlungs‑ und Transportpriorisierung (inkl. Life‑Threats wie Blutung/Atemweg).

Grenzen/Diskussion

  • In Deutschland gilt die Sichtung grundsätzlich als ärztliche Aufgabe (Arztvorbehalt); Vorsichtung durch nicht‑ärztliches Personal ist überbrückend. Fachgesellschaften weisen darauf hin, dass mSTaRT Ressourcenlage und nicht‑traumatologische Krankheitsbilder nur begrenzt abbildet – hier setzen PRIOR oder SALT andere Akzente.


Häufige Fehler – und wie man sie vermeidet (Merkkasten)

  • Eigenschutz/ABC‑Hinweise übersehen → erst Lage sichern, dann sichten.

  • Atemwege nicht konsequent freimachen, bevor „apnoeisch“ als SK V etikettiert wird.

  • Massive Blutung nicht sofort stoppen → Tourniquet/Hämostase priorisieren.

  • Kapillarfüllung statt Radialispuls: mSTaRT orientiert sich am Radialispuls (Robustheit bei Kälte).

  • Kinder wie Erwachsene sichten: JumpSTART‑Besonderheiten beachten (z. B. 5 Beatmungen).


 

FAQ (für Ausbildung & Einsatzvorbereitung)

Ist SK IV (blau) immer erlaubt?
Nein. SK IV wird vielerorts ärztlich vergeben und ist regional unterschiedlich geregelt; teilweise werden IV/V nicht genutzt. Lokale SOP/Richtlinien beachten.

Was unterscheidet mSTaRT von START/SALT?
mSTaRT übernimmt START‑Kernprinzipien (Atmung–Perfusion–Bewusstsein) und ergänzt Gefahrstoff‑/Dekon‑Pfade. SALT integriert früh definierte life‑saving interventions und ist all‑hazards‑standardisiert.

Gibt es ein „deutsches“ Alternativschema?
Ja, PRIOR (BBK/DGKM). Es soll maßgeblich von Rettungsfachpersonal angewandt werden; ärztliche Sichtung folgt zwingend. Es adressiert auch nicht‑traumatologische Notfälle und CBRN‑Lagen.

Wo finde ich den offiziellen Rahmen in Bayern?
In der MAN‑Richtlinie 2025 inkl. Anlage „Ersteinschätzung – Vorsichtung – Kennzeichnung – Registrierung“. – Info hier


Weiterführende Quellen & Downloads

  • mSTaRT – Originalbeschreibung (2006, Notfall + Rettungsmedizin): Einsatzstandard für Vorsichtung, Notfallbehandlung, Transport.

  • mSTaRT „Trauma & Intox“ (2013): Erweiterung um ABC/CBRN-Aspekte nach Münchner Reizgasereignis.

  • Algorithmus (Berufsfeuerwehr München, Version 4.1/2018, Erw.): Flowchart, SK‑Definitionen, Not‑Dekon‑Hinweise.

  • START/JumpSTART – Hintergrund (US‑HHS/CHEMM): Entstehung, Radialispuls‑Modifikation; Kinder‑Besonderheiten.

  • BBK – Sichtung/Triage & PRIOR (DGKM/BBK): Grundsatzinfos, PRIOR‑Rahmen, CBRN‑Anlagen. – Info hier

  • Bayern – MAN‑Richtlinie 2025 (Anlage „Ersteinschätzung/Vorsichtung“): aktueller landesrechtlicher Rahmen. – Info hier

  • DIVI‑Hinweise (Arztvorbehalt/Vorsichtung): zusammengefasst bei FOAMio mit Verweis auf DIVI‑Dokument.

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