Eine wachsende Bedrohung für die Bargeldversorgung und der Kampf um Sicherheit
Geldautomaten gehören in Deutschland weiterhin zur kritischen Infrastruktur: Auch im digitalen Zeitalter werden 58 % aller Zahlungen noch bar abgewickelt. Dennoch bedrohen organisierte Tätergruppen zunehmend die Bargeldversorgung – durch hochprofessionelle Geldautomatensprengungen. Der aktuelle Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt: Trotz eines erstmaligen Rückgangs der vollendeten Taten 2023 bleibt die Bedrohungslage ernst.

Professionalisierung der Täter: Sprengstoffe und neue Taktiken
Die Täter agieren zunehmend professionell. Während früher hauptsächlich Gasgemische eingesetzt wurden, verwenden Kriminelle heute überwiegend Festsprengstoffe – darunter selbstlaborierte oder militärische Explosivstoffe. Diese erreichen eine Umsetzungsquote von 87% und verursachen massive Sachschäden. Hydraulische Spreizer und Trennschneider kommen ebenfalls vermehrt zum Einsatz, um Zugang zu den Wertbehältnissen zu erlangen.
Besonders alarmierend: Die Täter arbeiten in hochflexiblen Strukturen, rekrutieren Nachwuchs in sozialen Brennpunkten und trainieren diesen in eigens eingerichteten Camps – inklusive Testsprengungen. Die Haupttäter sind vorwiegend junge Männer niederländischer Staatsangehörigkeit aus den Regionen Amsterdam, Utrecht und Rotterdam.
Bei der Flucht gehen die Täter extrem risikobereit vor: Speziell präparierte Fluchtfahrzeuge erreichen Geschwindigkeiten von über 300 km/h, sind mit Blaulicht-Attrappen und Tankvorrichtungen ausgestattet und stellen eine erhebliche Gefahr für unbeteiligte Dritte dar.
Schadensbilanz und gesellschaftliche Folgen
Die durchschnittliche Beute pro Geldautomat liegt bei rund 103.000 Euro, während sich die begleitenden Sachschäden – etwa an Gebäuden – auf ein Vielfaches dieser Summe belaufen. Insgesamt wurden 2023 Schäden von etwa 30 Millionen Euro allein durch die Beute verzeichnet.
Noch gravierender: Das erbeutete Bargeld dient häufig der Finanzierung organisierter Kriminalität wie Drogenhandel, Menschenhandel und Waffenhandel. Damit bedrohen Geldautomatensprengungen nicht nur Banken und Versicherer, sondern die Gesellschaft als Ganzes.
Prävention im Fokus: Der notwendige Maßnahmenmix
Angesichts der Bedrohung reicht keine Einzelmaßnahme aus. Erforderlich ist ein ganzheitlicher Schutzansatz, bestehend aus:
- Mechanischen Maßnahmen: Verstärkte Geldautomatengehäuse, Schutzgitter und Rollladensysteme erschweren den Zugang.
- Technischen Maßnahmen: Farbneutralisationssysteme (IBNS) markieren Banknoten bei Sprengung und machen sie für Täter wertlos. Auch Schutznebelanlagen, Videoüberwachung und intelligente Alarmierungssysteme sind zentrale Bausteine.
- Organisatorischen Maßnahmen: Dazu gehören etwa Nachtverschlüsse von Selbstbedienungsfoyers, Reduzierung des Bargeldbestands sowie eine optimierte Aufstellung der Automaten.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Identifikation und Sicherung sogenannter Risikostandorte, bei denen Standortfaktoren wie die Nähe zu Autobahnen, die Bauweise des Automaten oder fehlende Sicherheitsvorkehrungen das Risiko erhöhen.
Politische und wirtschaftliche Initiativen
Eine gesetzliche Regelung zur Sicherung von Geldautomaten – ähnlich wie in Frankreich – wurde vom Bundesinnenministerium nicht weiter verfolgt. Stattdessen wurde am Runden Tisch im November 2022 eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet: Banken, Versicherer und Sicherheitsbehörden verpflichteten sich freiwillig, bis Ende 2025 an allen Risikostandorten ein Mindestschutzniveau zu erreichen.
Die Herausforderung ist gewaltig: Etwa 35% aller rund 36.000 Standorte gelten als stark gefährdet.
Dabei breiten sich die Täter inzwischen nicht nur in Deutschland weiter aus, sondern nehmen auch Standorte in Österreich und der Schweiz ins Visier. Besonders perfide: Auch bisher als „unattraktiv“ geltende Standorte – etwa abseits großer Verkehrswege – geraten zunehmend ins Fadenkreuz.
Der Wettlauf geht weiter
Geldautomatensprengungen bleiben für Tätergruppen lukrativ und lohnend. Solange erhebliche Bargeldmengen in Automaten verfügbar sind, wird es Täter geben, die Wege finden, diese zu entwenden – auch unter Inkaufnahme hoher Risiken.
Nur ein klug abgestimmter Maßnahmenmix aus Mechanik, Technik und Organisation, angepasst an die individuellen Risiken jedes Standorts, kann langfristig eine Verdrängung der Täter erreichen. Prävention bleibt ein „Katz-und-Maus-Spiel“, das kontinuierliche Anpassungen erfordert.
Der Schutz der Bargeldversorgung und die Sicherheit der Bevölkerung sind dabei eine gemeinsame Aufgabe von Finanzwirtschaft, Sicherheitsbehörden und Versicherern – und sie duldet keinen Aufschub.