Ulm | Rauschgift ist Gift – Warum geht die Polizei so massiv gegen Drogenkonsum vor?

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Geldstrafen und die Entziehung der Fahrerlaubnis drohen Rauschgiftkonsumenten. Das soll abschrecken, in eine Rauschgiftkarriere einzusteigen. Doch der Polizei sei die Vorbeugung mindestens genauso wichtig, berichtet jetzt das Polizeipräsidium Ulm.

Gerade der Einstieg von jungen Menschen in den Rauschgiftkonsum müsse frühzeitig verhindert werden. Dabei gehe es auch um die Gesundheit der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden. Die aktuell eher verharmlosende Diskussion über Rauschgifte lasse die Hemmschwelle zum Einstieg sinken, so die Polizei. Doch sei der Konsum so genannter weicher Drogen wie Haschisch und Marihuana gleichermaßen mit gesundheitlichen Folgen verbunden. Auch sie hätten massive Auswirkungen auf Körper und Geist zur Folge, bekräftigt die Polizei. Je jünger die Konsumenten und je exzessiver und unkontrollierter der Konsum, umso gravierender seien die Auswirkungen.

17 Kilogramm Marihuana und fast 200 Ecstasy-Tabletten haben Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt beschlagnahmt, dazu zigtausende Euro mutmaßliches Dealergeld, Waffen und gefährliche Gegenstände. Der Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität ist einer der Handlungsschwerpunkte der Polizei. Sie weiß, dass relativ viel Rauschgift im Umlauf und dieses nahezu überall verfügbar ist.

„Junge Menschen haben heute einen relativ leichten Zugang zu den so genannten Einstiegsdrogen, insbesondere zu Cannabis“, sagt der Leiter der Inspektion für Organisierte Kriminalität und Rauschgiftkriminalität im Polizeipräsidium Ulm, Kriminaldirektor Thomas Friedrich. In der öffentlichen Diskussion werde Cannabiskonsum oft verharmlost. Zu Unrecht, meint Friedrich und verweist nicht nur auf die steigende Zahl von Verkehrsunfällen unter Drogeneinfluss. Die Polizei intensiviere ihre Kontrollen und Maßnahmen insbesondere, um die Menschen zu schützen. Auch die Konsumenten.

Symbolbild

Friedrich schildert die Geschichte eines jungen Mannes, die er selbst verfolgte und die kein Einzelfall ist: Er nennt den Jugendlichen „Tim“, freilich heißt er in Wirklichkeit anders. Tim stammt aus gut bürgerlichem Haus, wächst behütet auf und besucht die 9. Klasse. Er steht kurz vor der Entscheidung, wie es in seinem Leben mit Schule, vielleicht Studium, oder Beruf weitergeht. In dieser Phase gerät Tim über seine Freunde an Marihuana. Das wirkt auf ihn interessant und cool, auch schon deshalb, weil es verboten ist. Doch schon bald gewöhnt er sich an die Wirkung und fühlt ein Verlangen, auch nur um die gefühlt weniger coole Schule und die Regeln des Elternhauses auszublenden. Die Noten in der Schule werden schlechter, weil er dem Unterricht nicht mehr wie früher folgen kann. Fehltage stellen sich ein und werden häufiger, auch ohne Wissen der Eltern. Die 100 Euro Taschengeld im Monat reichten bisher locker für Kino, Döner und Ausflüge in die Stadt. Aber jetzt muss er von dem Geld immer mehr seinem Kumpel geben. Der finanziert seit einem Jahr seine Sucht durch den Verkauf von Drogen. Tims Taschengeld ist deshalb schon am 10. des Monats aufgebraucht. Er bedient sich erst im Geldbeutel der Mutter, dann beginnt er, im Drogeriemarkt Parfüm zu stehlen. Das verkauft er für wenig Geld weiter, um wieder liquide zu sein. Als die Eltern vom Rektor erfahren, dass Tim immer häufiger in der Schule fehlt, hat der längst den „Bock auf Schule“ verloren. Wofür Schule, wofür ein Abschluss? Jobben kann man auch so, denkt sich Tim. Seine Mutter findet ein Plastiktütchen mit Rauschgift im Nachtkästchen des Jungen, doch der schwört, das Tütchen nur für einen Freund aufbewahrt zu haben. Sein Mofa, das er vom Konfi-Geld gekauft hat, habe er auch nur einem Freund geliehen, behauptet Tim. Dabei hat er es längst weiter verkauft. Und dass er ab jetzt etwas verwahrlost herumläuft ist einfach sein persönlicher „Style“. In dieser Phase gerät Tim in eine Polizeikontrolle. Die Beamten finden drei Gramm Marihuana. Zusammen mit dem Vater muss Tim zur Vernehmung zur Polizei. Doch das sei alles halb so schlimm, behauptet Tim. „Die Bullen können mir eh nichts“, sagt er und von den Freunden habe er erfahren, dass beim ersten Mal sowieso nichts passiert. Tims Eltern fühlen sich hilflos. Hausarrest und nächtliches Ausgangsverbot ignoriert Tim. Über den Balkon klettert er nachts raus. Die Freunde sind ihm eh wichtiger als die Eltern. Sein Taschengeld bessert er längst mit kleinen Verkäufen von Rauschgift auf. Das machen die anderen ja auch. Das drängende Angebot der Eltern, ihn zum Arzt oder zur Drogenberatung zu begleiten und sich mit ihm nach einer Anstellung im Betrieb eines Freundes zu schauen, lehnt er als lächerlich ab.

Wenige Tage später erwischt ihn die Polizei bei einem kleinen Drogengeschäft. Er ist jetzt in den Augen der Ermittler bereits Rauschgifthändler. Doch das macht ihm längst nichts mehr aus. Erst nach wenigen Wochen gehen ihm die Augen auf. Der Jugendrichter verpflichtet ihn zum Gang zur Drogenberatung. In einem Pflegeheim am Ort muss Tim 50 Sozialstunden leisten. Er erkennt, dass es schwierig sein wird, dem bisherigen Freundeskreis und dem Rauschgift zu entkommen. Um eine Ausbildung zu bekommen, muss er wieder an eine Schule. Der Neustart dort wird schwierig. Das Vertrauen seiner Eltern hat Tim schwer beschädigt. Seine früheren Freunde aus Fußballverein und Jugendfeuerwehr haben sich längst von ihm abgewandt. Tim braucht dringend Hilfe von außen auf diesem schwierigen Weg zurück in ein geordnetes Leben.

Foto: Pöppel

Wie gesagt: Für die Polizei ist diese Biografie kein Einzelfall. Und sie ist real. „Auch deshalb, und besonders deshalb, haben wir uns die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität auf die Fahnen geschrieben“, sagt Friedrich. „Wir tun das mit allen uns zur Verfügung stehenden Kolleginnen und Kollegen. Und das ist es uns wert“, so Friedrich weiter. Es lohne sich für die jungen Menschen und deren Gesundheit, für ihre Zukunft, für ihre Eltern und Familien und für die ganze Gesellschaft, bekräftigt Friedrich. Deshalb sei es sein Wunsch und sicher der aller Polizeibeamtinnen und -beamten, dass alle genauer hinschauen. „Eltern, Lehrer, die Verantwortlichen in den Vereinen, die wahren Freunde, alle müssen erkannte Feststellungen ansprechen, sie müssen sich austauschen und auch Hilfe von außen holen. Auch von der Polizei. Das ist allemal besser, als den Dingen ihren Lauf zu lassen und junge Menschen wie Tim abstürzen zu lassen. Sie können nur sehr mühsam wieder aufstehen“, hofft Friedrich auf die Unterstützung im Umfeld der Betroffenen. Die Polizei sehe sich nicht nur als Strafverfolgungsbehörde sondern in erster Linie auch als Helfer, als Fachkraft in diesem Thema. „Die Jugendsachbearbeiter auf den Polizeirevieren, den Polizeiposten und bei der Kriminalpolizei sind sehr erfahren in diesen Dingen und sind in die Netzwerke eingebunden, um schnell Hilfe zu organisieren.


Info:

Die Zahl der registrierten Rauschgiftdelikte in der Region Ulm ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr stark angestiegen. Ihre Zahl stieg um fast ein Viertel auf jetzt 2.683 Fälle (+517 Fälle, +24 Prozent). Das bedeute nicht zwingend, dass tatsächlich mehr Straftaten begangen würden. Vielmehr decke die Polizei durch ihre intensiveren Ermittlungen in der Drogenkriminalität mehr Delikte auf. Die Zahl der Drogenunfälle bewegte sich 2018 zwar auf niedrigem Niveau, steige aber tendenziell an. 37 Drogenunfälle registrierte die Polizei im Jahr 2018, den höchsten Wert im 10-Jahres-Vergleich. Das Polizeipräsidium Ulm intensivierte seine Maßnahmen gegen Drogen im Straßenverkehr. Rauschgiftkonsum habe viele sozialschädliche Begleiterscheinungen: Neben den Risiken für die Gesundheit, der Beschaffungs- und Begleitkriminalität und Gewalt seien dies auch die Gefahren im Straßenverkehr durch berauschte Fahrer. „Illegale Drogen sind für den Einzelnen und für die Gesellschaft gefährlich. Wir werden alles Mögliche tun, um gegen diese Form von Kriminalität vorzugehen“, sagte die Polizei schon zu Jahresbeginn verwies dabei auf die für den Landkreis Göppingen neu eingerichtete Rauschgiftermittlungsgruppe. Solche Bekämpfungsansätze seien in den anderen Landkreisen sehr erfolgreich. Gleichzeitig schule die Polizei ihre Beschäftigten, beispielsweise des Streifendienstes, intensiv in der Erkennung von Drogenkonsum. Damit wolle sie noch mehr Konsumenten und vor allem die Begehung von Handelsdelikten erkennen. Durch die intensive Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität sollen Impulse für die Konsumenten gesetzt werden, den Weg aus dem Kreislauf der Sucht zu finden. Damit wird deutlich, dass bei diesem Deliktsfeld letztlich polizeiübergreifend vorzugehen ist.


 

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