Wann ist der richtige Zeitpunkt, Bildmaterial von Unglücksfällen zu veröffentlichen?

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Katastrophen, Unfälle und Unglücksfälle gehören leider zur Realität – ebenso wie deren mediale Begleitung. Bilder von solchen Ereignissen haben eine enorme emotionale Wirkung und können zur schnellen Verbreitung wichtiger Informationen beitragen. Doch gerade bei der Veröffentlichung von Bildmaterial ist journalistische Verantwortung gefragt. Denn es geht nicht nur um Reichweite oder Exklusivität – es geht um Menschenwürde, Opferschutz und die Einhaltung von Gesetzen.

Pressefotografen dürfen grundsätzlich alles fotografieren, was sich im öffentlichen Raum abspielt – hier gelten keine generellen Aufnahmeverbote. Doch bei der Veröffentlichung der Bilder tragen sie die volle Verantwortung und haften für mögliche Verletzungen von Persönlichkeitsrechten oder gesetzlichen Bestimmungen.

Die ethische Verantwortung von Medienschaffenden

Bilder sprechen eine eigene Sprache. Sie transportieren Emotionen direkter als Worte – sie können aufrütteln, Anteilnahme wecken oder politische Diskussionen auslösen. Gleichzeitig bergen sie die Gefahr der Sensationsgier oder der Respektlosigkeit gegenüber Betroffenen und Angehörigen. Deshalb ist es die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, sorgfältig abzuwägen:

  • Welche Informationen sind wirklich relevant?

  • Wird mit dem Bild ein berechtigtes öffentliches Interesse bedient?

  • Wer wird durch die Veröffentlichung möglicherweise verletzt oder retraumatisiert?

Die Veröffentlichung sollte nie aus reinem Schockeffekt erfolgen, sondern immer eingebettet in eine journalistisch verantwortungsvolle Berichterstattung.


Warum greifen wir das Thema heute auf?

Anlass ist der Unfall vor wenigen Tagen mit einer 20-Jährigen, die mit ihrem Traktorgespann verunglückt war und über Stunden unter dem Traktor eingeklemmt war. Es wurde zwar schnell kommuniziert, dass die junge Frau ansprechbar war, aber bei den Verletzungsmustern bestand keine Klarheit.

Der Unfall ereignete sich um 12:20 Uhr, kurz nach 13 Uhr waren bereits Bilder in den sozialen Netzwerken zu sehen – aber auch in renommierten Zeitungen im Online-Bereich. Zu diesem Zeitpunkt war in keiner Weise klar, wie lange die Rettung der Frau noch andauert und wie die Bergungsaktion ausgehen wird.

Es existieren Aufnahmen direkt an der Zugmaschine, auf denen eine Decke vor die Schwerverletzte gehalten wird – offenbar von einer Ersthelferin. Andere Bilder zeigen aus etwas mehr Abstand die Kabine des Traktors – immer mit direktem Blick auf den Einsatzort.

Wir als Redaktion von new-facts.eu wollen solche Einsätze umfassend begleiten – vom Beginn bis zum Ende. Wir dokumentieren die Arbeit der Einsatzkräfte und möchten die Herausforderungen eines Einsatzes sachlich und professionell abbilden.

Dabei ist es sehr wohl möglich, eindrucksvolle Bilder zu erstellen, ohne intime oder dramatische Momente der Verletzten zu zeigen. Ein veränderter Standort oder ein leicht geänderter Bildausschnitt kann dieselbe Aussagekraft haben – ohne gegen den Opferschutz zu verstoßen.

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung spielt eine Rolle. Ein zeitlicher Abstand kann helfen, dass sich keine Schaulustigen zur Unfallstelle begeben. Die Tragik und die Dimension eines solchen Unglücks bleiben auch dann bestehen, wenn die Bilder erst nach Abschluss der Rettung veröffentlicht werden. Vielleicht sinken dadurch kurzfristig die Klickzahlen – aber das darf nicht der ausschlaggebende Faktor einer verantwortungsvollen Berichterstattung sein.


Der richtige Zeitpunkt: Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Es gibt keine starre Regel, wann genau Bildmaterial von einem Unglück veröffentlicht werden darf. Doch einige Kriterien helfen bei der Entscheidung:

1. Abwarten, bis offizielle Informationen vorliegen

Gerade in den ersten Minuten und Stunden nach einem Unglück kursieren oft unbestätigte Informationen oder spekulatives Material. Der Pressekodex empfiehlt Zurückhaltung, bis belastbare Fakten durch Polizei, Feuerwehr oder andere Behörden vorliegen.

2. Informieren der Angehörigen

Ein absolutes Tabu ist die Veröffentlichung von Bildern, auf denen Opfer identifizierbar sind, bevor Angehörige offiziell informiert wurden. Hier greifen nicht nur ethische Maßstäbe, sondern auch rechtliche – etwa das postmortale Persönlichkeitsrecht.

3. Einhaltung des Opferschutzes

Betroffene, Verletzte und Hinterbliebene haben Anspruch auf Schutz ihrer Intimsphäre. Auch wenn sie im öffentlichen Raum fotografiert wurden, dürfen Bilder nicht ohne Weiteres veröffentlicht werden. Es ist stets zu prüfen:

  • Sind die Personen erkennbar?

  • Liegt eine Einwilligung vor?

  • Wird das Persönlichkeitsrecht gewahrt?


Was sollte man nicht zeigen?

1. Leichen oder schwer verletzte Personen

Auch wenn solche Bilder oft als „besonders aussagekräftig“ gelten – sie verletzen die Würde der Abgebildeten und sind in den meisten Fällen nicht mit dem Presserecht vereinbar.

2. Hilflose oder schockierte Personen

Personen in Ausnahmesituationen (z. B. unter Schock, weinend, verwirrt) dürfen nicht zur Illustration des Geschehens missbraucht werden – es sei denn, es liegt eine informierte Zustimmung vor.


Gesetzliche Grundlagen in Deutschland

  • Kunsturhebergesetz (§ 22 KUG): Bilder dürfen nur mit Einwilligung der Abgebildeten veröffentlicht werden – Ausnahmen gelten u. a. für Personen der Zeitgeschichte.

  • Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG): schützt Menschen vor der Veröffentlichung persönlicher und intimer Informationen.

  • Strafgesetzbuch (§ 201a StGB): verbietet das Fotografieren hilfloser Personen in Situationen, die geeignet sind, deren Ansehen zu verletzen.


Ein sensibles Gleichgewicht

Der Journalismus hat die Aufgabe, aufzuklären, zu informieren und Missstände sichtbar zu machen. Gleichzeitig darf er nicht über die Grenzen der Menschenwürde und des Datenschutzes hinausgehen. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen Informationsinteresse und Persönlichkeitsrecht.

Fazit
Der richtige Zeitpunkt zur Veröffentlichung von Bildmaterial bei Unglücken ist nicht der schnellstmögliche, sondern der verantwortungsvoll abgewogene. Journalistinnen und Journalisten sollten sich nicht von Klickzahlen leiten lassen, sondern von Haltung, Respekt und ethischer Verantwortung.

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